Blattlinie

Empathie

Empathie schadet im Journalismus nie, wenn es darum geht, die Lebenswirklichkeit einzufangen. Pflege wird für jeden irgendwann einmal unmittelbar zum Thema werden.

Oberflächliche Hochglanzgesellschaften haben sich die raffiniertesten Techniken zurechtgelegt, um die weniger schönen Seiten des Lebens auszublenden. Was nicht so angenehm ist und auch keinen prickelnden Gruselfaktor hat, wird hartnäckig verdrängt, bis zur Unkenntlichkeit abstrahiert oder gleich ganz ignoriert. Man will ja nicht unnötig belästigt werden. Sobald aber jemand selbst betroffen ist, direkt, unmittelbar und nah, lässt sich die Realität nicht mehr leugnen. Dann kann man immer noch versuchen, die Verantwortung abzuwälzen und das Problem auszulagern. Doch so einfach ist auch das nicht: Hunderttausende Österreicher pflegen ihre Angehörigen. Das kostet Zeit, Nerven, Energie, Kraft und Geld, verengt das Leben, verändert Beziehungen, zehrt aus. Meistens ist es Frauensache. Katja Jungwirth beschreibt in einem berührenden Buch, wie sie ihre Mutter pflegt, die keine fremde Hilfe annehmen will. Eva Winroither hat für diese Ausgabe ein sehr einfühlsames Gespräch mit der Autorin geführt. Außerdem hat sie eine 95-Jährige besucht, die an Alzheimer leidet und immer noch in der eigenen Wohnung lebt. Gepflegt wird die Dame von ihrer Tochter. „Ich verschiebe täglich meine eigenen Bedürfnisse“, gibt die Angehörige zu Protokoll.

Das offene Wort liebt auch der Philosoph Rüdiger Safranski. Dafür musste er so manche Anfeindungen ertragen. Judith Hecht hat mit ihm für die „Letzten Fragen“ über sein neues Hölderlin-Buch und die schwindende Religiosität im Westen gesprochen. Absolut lesenswert. Ausschneiden und gut aufheben sollten Sie sich Almuth Spieglers Vorschau aufs Ausstellungsjahr: von Amedeo Modigliani und Andy Warhol bis Xenia Hausner, Herbert Brandl und Gerhard Richter.

christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.01.2020)

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