Gastkommentar

Schwere Gewalt an Frauen nimmt immer noch zu

(c) Peter Kufner
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Täglich werden Frauen misshandelt, aber die Regierung spricht von Kopftuchverbot, politisch motiviertem Islam und Sicherungshaft.

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Österreich hatte international und europaweit lange Jahre Vorbildcharakter im Gewalt- und Opferschutzbereich. Davon entfernt es sich immer mehr. Statt Opferschutz ernsthaft anzugehen, wird eine Ablenkungspolitik betrieben, die Populismus und Fremdenfeindlichkeit offenbart und häufig die Täter schützt.

Gewalt ist kein importiertes Problem, Gewalt hat auch keine Nationalität und keine Religion. Sie kommt überall vor, in allen Schichten und Altersgruppen Österreichs. Das Ausmaß der Gewalt an Frauen und Kindern in Österreich ist besonders hoch – und das trotz guter Gesetzesmaßnahmen und zahlreicher Opferschutzeinrichtungen (wie die Frauenhelpline, Frauenhäuser, Gewaltschutzzentren, Beratungsstellen).

Jede fünfte Frau ab ihrem 15. Lebensjahr wird Opfer von körperlicher und/oder sexueller Gewalt, am häufigsten durch den (Ex-)Partner. Jedes Jahr fliehen mehr als 3000 Frauen und Kinder in Österreich vor ihren Misshandlern in eines der Frauenhäuser.

Auch die schwere Gewalt und die Morde an Frauen nehmen jährlich zu, sie haben sich seit 2014 sogar mehr als verdoppelt. 2018 wurden 41 Frauen durch Partnergewalt und häusliche Gewalt ermordet, 2019 sogar 34. Und auch das Jahr 2020 begann mit einem schweren Mordversuch in Wien Meidling und einem Frauenmord in Ybbs an der Donau. Am vergangenen Donnerstag wurde in dem Ort in Niederösterreich eine 42-jährige Frau erstochen. Ihr Ehemann, ein 50-jähriger Österreicher, ist dringend verdächtig, sie durch mehrere Messerstiche ermordet zu haben.

Österreich hat zwar die Istanbul-Konvention ratifiziert und sich verpflichtet, jede einzelne von Gewalt betroffene Frau umfassend und mit größter Sorgfalt zu unterstützen, stattdessen werden populistische, für den Opferschutz problematische und nicht durchdachte Gesetze verabschiedet. Dabei wird die Meinung von Experten aus dem Opferschutzbereich ignoriert – etwas, das es früher in dieser Form nicht gegeben hat.

Im neuen Gewaltschutzgesetz wird das Strafausmaß nochmals empfindlich erhöht, obwohl dieses jetzt schon nicht ausgeschöpft wird und die Täter sich vor keiner Tat überlegen, wie hoch die Mindeststrafe sein wird. Es handelt sich um eine wirkungslose Sanktionierung, weil die tatsächlichen Probleme nicht behandelt werden.

Verfahren oft eingestellt

Bei einem Großteil der Fälle von häuslicher Gewalt an Frauen kommt es gar nie zu einer Verurteilung und ein großer Teil der Verfahren wird eingestellt. Immer dann, wenn es heißt, „Aussage gegen Aussage“ beziehungsweise bei widersprüchlichen Aussagen, wird nicht weiter ermittelt, sondern eingestellt. Eine lückenlose Ermittlung ist aber ein Opferrecht. Denn eine Anzeigeneinstellung bedeutet eine weitere Demütigung für die Frau und einen Freibrief für den Täter. Diese Praxis kritisiert auch das Grevio-Expertenkomitee im Bericht zur Umsetzung der Istanbul-Konvention in Österreich.

Viele Femizide, kaum U-Haft

Vergangene Woche in Meidling in Wien soll ein Mann seine Lebensgefährtin stundenlang brutal verprügelt haben. Schwer verletzt und stark blutend konnte sich die Frau auf die Straße retten. Doch der mutmaßliche Täter wurde nur auf freiem Fuß angezeigt und sitzt nicht in Untersuchungshaft. Das ist kein Einzelfall und passiert leider viel zu oft. Obwohl wir wissen, dass viele Gefährder Wiederholungstäter werden, bei 92 Prozent der polizeilichen Wegweisungen bereits eine Straftat begangen wurde und dass Trennung, Scheidung und Anzeige die gefährlichste Zeit für Frauen ist.

Obwohl Täter in dieser Zeit oftmals enorm ausrasten, ein Gewaltdelikt begehen und hier die meisten Morde passieren, wird kaum eine U-Haft verhängt. Auch die wichtigen multi-institutionellen Fallkonferenzen bei hochrisikogefährdeten Frauen wurden von der türkis-blauen Regierung eingestellt, angeblich aufgrund zu hoher Kosten für Polizei, Koordinierungsschwierigkeiten und Datenschutzproblemen. Dabei sollte der Staat bei Hochrisikosituationen keine Kosten und Mühen scheuen, in die Sicherheit von Frauen und Kindern zu investieren. Die Regelung im neuen Gewaltschutzgesetz sieht zwar wieder Fallkonferenzen vor, aber noch ist offen, wie diese multi-institutionelle Zusammenarbeit aussehen wird.

Automatische Anzeige

Auch die automatische Anzeigepflicht für alle Gesundheitsberufe wurde im neuen Gewaltschutzgesetz eingeführt, ohne genau zu überlegen, welche Auswirkungen diese Maßnahme auf Opfer von sexueller Gewalt hat. Niemand hat diese Maßnahme gefordert und die Gesetzgeber haben nicht mitbedacht, was passiert, wenn eine Anzeige ins Haus flattert und das Opfer alleine mit dem Täter damit konfrontiert wird. Außerdem wird den Betroffenen automatisch die individuelle Entscheidung genommen, ob sie Anzeige erstatten wollen oder nicht – ihr eigener Wille bleibt dabei unberücksichtigt. Fraglich ist auch, ob Betroffene sich nun weiterhin dem Gesundheitswesen anvertrauen werden.

Täter-Opfer-Umkehr

Opfer von häuslicher Gewalt haben oft kein Vertrauen mehr in die Justiz, weil sie mit vielen Schikanen konfrontiert werden. Von der Anzeige bis zum Ende eines Strafverfahrens begegnen sie vielfach dem Phänomen von „Victim Blaming“ (das bedeutet, dem Opfer wird selbst Schuld gegeben, etwa indem man sagt, es habe den Täter „provoziert“ oder einen zu kurzen Rock getragen, Anm. der Redaktion) und der Täter-Opfer-Umkehr. Nicht die Täter stehen am Prüfstand, sondern die Opferzeuginnen. Ihnen wird oft ein gewisses Misstrauen entgegengebracht, nämlich dass sie lügen oder falsch aussagen würden.

Auch das Recht auf Entschlagung wird als Versagen der Opferzeugin interpretiert. Das sind einige Gründe, weshalb immer weniger Opfer von häuslicher Gewalt eine Anzeige erstatten (wollen). Staatsanwälte und Richter sind zwar hochgradig ausgebildet, aber bei Gewalt gegen Frauen mangelt es vielfach an Fachwissen und Sensibilisierung. Viele Staatsanwälte wissen zu wenig über Traumatisierung, geschlechterbasierte Gewalt und Täterstrategien Bescheid. Verpflichtende Schulungen würden den Opferschutz wesentlich verbessern.

Angesichts der dramatischen Situation fordern wir die neue türkis-grüne Regierung auf, Gewaltprävention endlich oberste politische Priorität zu geben, auch beim Budget! Denn die Folgekosten der häuslichen Gewalt in Österreich betragen laut einer EU-Studie jetzt schon 3,7 Milliarden Euro jährlich, und sie werden weiter steigen, wenn nicht endlich eine massive Aufstockung des Budgets für Gleichstellungspolitik und Gewaltprävention vorgenommen wird.

Wir benötigen im Frauenministerium statt zehn Millionen mindestens 210 Millionen Euro jährlich.

Hilfe bei Gewalt gibt es bei der Frauenhelpline gegen Gewalt unter 0800/222 555
österreichweit, rund um die Uhr, kostenlos, anonym und mehrsprachig – siehe auch mehr Informationen unter:

www.frauenhelpline.at

Die Autorin

Maria Rösslhumerarbeitet seit Jahrzehnten im Bereich Gewaltschutz und Frauen. Seit 1999 ist sie Geschäftsführerin des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser, zudem ist sie stellvertretende Vorsitzende des Österreichischen Frauenrings.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.01.2020)

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