Popkulturradio

Sonne im Herzen und Mavi Phoenix als Mann

Jetzt im neuen Modus als Bubenrapper: Mavi Phoenix aus Linz beim FM4-Fest in Wien-Ottakring.
Jetzt im neuen Modus als Bubenrapper: Mavi Phoenix aus Linz beim FM4-Fest in Wien-Ottakring.(C) FM4/ Franz Reiterer
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Kommen bessere Tage? Beim Fest zum 25. Geburtstag von FM4 sagte die israelische Band Lola Marsh ja. Weiters dort zu erleben: Mavi Phoenix nach dem Gendertransfer und das schäbig charmante Elektroniktrio Say Yes Dog.

Seit es nicht mehr als – oft ungemein frostiges – Winter-Open-Air in der Arena stattfindet, sind die wirklich großen Namen aus dem Line-up des jährlichen FM4-Geburtstagsfests verschwunden. Seit einigen Jahren versammeln sich die enthusiastischen Hörer von FM4, Jugendliche jeden Alters, im Labyrinth einer bekannten Brauerei. Um Fremdeln zu vermeiden, werden die Konzertschauplätze in dieser so benannt, als befände man sich in einem ostösterreichischen Einfamilienhaus. Wohnzimmer, Badezimmer, Keller und so weiter. In den Gängen dazwischen amtieren Sicherheitswächter. Der Andrang kann zuweilen beängstigend sein. Aus gutem Grund meiden Klaustrophobiker die Veranstaltung.

Schattige Töne sind selten geworden

Auch Angst vor fröhlicher Musik würde nicht gut zu diesem Event passen. Der Puls des nun auch schon 25 Jahre alten Jugendsenders ist nämlich „upbeat“, wie man im Englischen sagt, jener Sprache, die einst von Blue Danube Radio und heute noch wenigstens halbtags bei FM4 gepflegt wird. Im Jahrmarkt der Töne, die der Sender präsentiert, sind die schattigen Töne mittlerweile in der Minderheit. Eva Umbauer sagt sie noch mit sanfter Stimme an wie einst auch der schmerzlich vermisste Philipp L'Heritier.

Sonst hat sich im Lauf der zweieinhalb Jahrzehnte einiges verändert. Über Spiele zu berichten wäre der Gründergeneration peinlich gewesen. Wohl auch eine Band, bei der die FM4-Ansagerin lobt, dass sie Sonnenschein im Herzen trügen. So geschehen bei Lola Marsh aus Tel Aviv, die nächste Woche mit „Someday Tomorrow Maybe“ ein neues, gemütsaufhellendes Opus herausbringen. Auszüge davon gab es bereits zu hören. Zunächst aber begann die beliebte Combo mit „Strangers“, einem älteren Hit. Darin besinnt sich die in schwieriger Lage befindliche Protagonistin auf ihre eigentlichen Kräfte: „I was so serene for I knew I had a bit of sunshine in my pocket.“ Sängerin Yael Shoshana Cohen sang diese Zeile so innig, dass selbst Lichtscheue, die im Winter an Oleovit-Vitamin-D3-Tropfen lutschen müssen, diese getrost ein paar Tage unberührt im Alibert ruhen lassen können. Auch „Only For A Moment“ gereichte zur praktischen Lebenshilfe: „Rest your eyes, better days are coming, I can feel it.“ Auf ihre Instinkte bezüglich Ohrwurmqualität können sich Lola Marsh verlassen. Ihr neues Opus ist voller attraktiver Melodien, zuweilen sogar in Moll wie im schwarzgalligen „Darkest Hour“.

Dunkleren Gefühlen ließ zuvor auch Mavi Phoenix freien Lauf. Es sei „ein bissi ein Scheißjahr gewesen“. Aber ihr Outing, Transgender zu sein und ab sofort als er zu firmieren, das sei „extrem schön“ gewesen. Auch weil es die Fans sofort akzeptiert haben. War Mavi Phoenix davor ein burschikoses Mädchen des Sprechgesangs, gerät nun im neuen Modus als Bubenrapper erst recht das Weiche und Flexible in den Blick. Allerdings ohne geschlechtsspezifische Zuordnung, was im rigiden Moralismus der Gegenwart, der Geschlecht ausschließlich als soziales Konstrukt definieren will, als Vorteil interpretiert wird. Egal, Tatsache ist, dass niemand im Genre-Rap so charmant „Fuck You“ schreit wie der Phoenix. Zu den Highlights des zwanglosen Auftritts zählte das musikalisch verträumte, aber textlich brisante „Bullet In My Heart“. Im Video zu diesem Song hat sich Phoenix beredt zur Genderthematik geäußert. Weiterer Ertrag eines für ihn nicht so guten Jahres war das für April avisierte Debütalbum, von dem er ostentativ bejubelte Kostproben gab. Natürlicher wirkte der Zuspruch zu alten Hits wie „Prime“ und „Janet Jackson“. Dazu tänzelte Walter Gröbchen, einstiger Sendungsgestalter, an der Seite von FM4-Chefin Monika Eigensperger beinah so elegant wie der Duke von Edinburgh.

Darf man weiße Tennissocken tragen?

Von ganz anderem Charme war der Pauvre Chic des luxemburgisch-deutschen Elektroniktrios Say Yes Dog. Die weißen Tennissocken und die ausgeleierten Trainingsanzüge, in denen es seinen verschummerten Opener „Deep Space“ präsentierte, schienen ein Fanal aktueller Mittelstandsdämmerung. Sprösslinge aus bürgerlichen Häusern gieren ja seit einiger Zeit nach brutal hässlicher Secondhandkleidung aus den Achtzigerjahren. Manche deuten diesen zelebrierten Reiz des Schäbigen als Vorgriff auf den befürchteten sozialen Abstieg der Mittelklasse. Völlig kontrapunktisch zum textilen Inferno war allerdings die lässige Musik dieses Trios. Besonnene Beats, hintersinnige Texte und andächtige Melodien prägten ein Klangbild, das doch einigermaßen aus der Zeit fiel.

Ein Labsal im Vergleich zu den im Keller ordinierenden, erschreckend konventionellen Deutschrappern. Einzig die im scharlachroten Kleid angetretene Münchnerin Fiva bezirzte mit eigenen Gedanken und markanten Grooves, während es in der Location namens Keller zog wie in einem Vogelhaus. Auch das gehört zum FM4-Fest. Es muss immer ein bisserl ungemütlich sein. Bequemlichkeit und Harmoniesucht findet man bei anderen Sendern genug.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.01.2020)

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