Musikfilm

Udo Lindenberg: Wiener Gäste in der Hamburger Halbwelt

(c) DCM/Letterbox/Gordon Timpen, SMPSP
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Im St. Pauli der frühen Siebzigerjahre herrschten urwienerische Töne: Auch das erfährt man in „Udo Lindenberg! Mach dein Ding“, dem Porträt des Gründervaters der deutschsprachigen Rockmusik.

„I packs jo ned, de Brunzalbuam“, raunt der blonde, langhaarige, hörbar aus Wien stammende Peitscherlbub, als ihm Udo Lindenberg und Steffi Stephan, der wichtigste Musiker in dessen 1973 gegründetem Panikorchester, auf einem LSD-Trip auf der Reeperbahn in sein Pelzmanterl fassen . . .

Auch das ist so ein Puzzleteilchen dieses gut recherchierten und liebevoll ausgestatteten Biopics. Die lokalen Luden (so nennt man in Deutschland die Zuhälter) haben damals tatsächlich für einige Jahre die Hoheit über St. Paul an Wiener Kollegen verloren. Und so platziert einer dieser importierten Gangster Steffi Stephan einen klassischen Tschuck aufs Aug, während der bedröhnte Lindenberg davonläuft. Nach einigen Metern steigt er gar in die Luft und nimmt das wilde Hamburger Halbweltviertel aus der Vogelperspektive wahr. Dazu ertönt, nach musikalischen Einlagen von CCR, Shocking Blue und T. Rex, das erste Lindenberg-Lied im Film: „Ich träume oft davon, ein Segelboot zu klauen und einfach abzuhauen. Ich weiß noch nicht wohin, Hauptsache, dass ich nicht mehr zu Hause bin. Es muss doch irgendwo eine Gegend geben für so ein verschärftes Leben“, singt Lindenberg mit einer anrührenden Sanftheit in der Stimme, die man schon vergessen hat, seit er zur Karikatur seiner selbst geworden ist.

Regisseurin Hermine Huntgeburth fokussiert in „Lindenberg! Mach dein Ding“ bewusst die Jahre des Aufbruchs, zeigt Schlüsselmomente, die dem verwirrten Jungen aus der Provinzstadt Gronau letztlich die Richtung gaben, die ihn zum ersten deutschsprachigen Popstar werden ließ. Die stets zu ihm stehende Mutter, ein Alki-Vater, der ihn in die Installateurslehre zwingen will, die erste Liebe, eine Turmspringerin. Die Tristesse der Sixties in Deutschland wird u. a. mit herrlichen Szenen, in denen die Protagonisten in ausgeleierten Feinrippunterhosen herumhüpfen, auf den Punkt gebracht. Der Mief der Provinz, der so oft die individuelle Utopie nährt, wird hier sinnfällig.

Lindenberg näherte sich langsam seiner eigentlichen Pioniertat an: Deutsch als Sprache der Popmusik zu etablieren. Zunächst gab es harte Lehrjahre. Er trommelte in Hamburger Striptease-Schuppen und in einem US-Luftwaffenstützpunkt in Libyen. Zurück in Hamburg experimentierte er mit Jazzfusion und Bluesrock, war aber auch für jeden Studiomusikerjob dankbar. Nicht alles blieb ephemer. Die gemeinsam mit Jazzer Klaus Doldinger aufgenommene „Tatort“-Titelmelodie läuft heute noch.

Zwielichtiger Plattenboss alter Schule

Der exakt 50 Jahre nach Lindenberg geborene Schauspieler Jan Bülow verkörpert Lindenberg mit der richtigen Mischung aus Mimikry und Mimenspiel. Wunderbar spielt auch Detlev Buck, der den zwielichtigen Plattenfirmenboss Mattheisen mit so viel Leben füllt, dass man sich diesen längst ausgestorbenen Typus beinah zurückwünscht. In der Reibung mit ihm und mit seinen Musikerkollegen in der progressiven Folk-Rock-Kombo Die City Preachers entsteht in Lindenberg die Idee, dass es an der Zeit wäre, auch im Pop endlich Deutsch zu singen, während die Kollegen meinen: „Deutsch zu singen, das geht nicht. Deutsch ist die Sprache der Nazis.“ Dazu kam, dass der Schlager das Deutsche zur Sprache falscher Harmoniesucht degradiert hatte.

„Keine Panik auf der Titanic“

So sang Lindenberg sein erstes Soloalbum auf Geheiß der Plattenfirma auf Englisch ein. Es wurde ein veritabler Flop. Dann, als er es selbst schon nicht mehr für möglich hielt, bekam er grünes Licht für eine deutschsprachige Single. Sie hieß „Sommerliebe“. Zum Hit aber wurde die B-Seite, „Hoch im Norden“, auf der er in nasalem Duktus „keine Panik auf der Titanic“ empfahl.

Nach Gründung des Panikorchesters blieb er der Nautik treu: Mit „Alles klar auf der Andrea Doria“ begann 1973 ein neues Zeitalter in der deutschen Popmusik. Lindenberg holte sich das Deutsch von Nazis und Schlagersängern zurück. Kühn verwandelte er sein privatsprachliches Genöle in eine Art Kunstgesang, ein Manöver, das später Grönemeyer ins Absurde gesteigert hat. Aber da hatten die Herrenslips längst harmlose Muster. In der von Lindenberg mitbewohnten Kommune in der Villa Kunterbunt hätte man damit nichts zu melden gehabt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.01.2020)

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