Gastbeitrag

Wer zahlt den Schaden nach Brand oder Lawine?

(c) Peter Kufner
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Wie Lawinen, Hochwasser oder zurzeit die Großbrände in Australien Staaten finanziell belasten und wie manche Länder vorbeugen.

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An einem kühlen Wintermorgen im März 1988 donnerte eine riesige Staublawine über die Wolfsgrube auf St. Anton am Arlberg und riss sieben Menschen in den Tod. Mehr als dreißig Jahre sind vergangen, seit die Katastrophe meinen Heimatort für immer verändert hat. Die Folgen dieser Lawine sind noch immer sichtbar.

Das Landschaftsbild in und um St. Anton ist geprägt von unzähligen forsttechnischen und strukturellen Schutzmaßnahmen, die seither um 25 Millionen Euro aufgebaut wurden, um zu verhindern, dass sich eine Katastrophe wie die von 1988 wiederholt. Die Maßnahmen haben ein Vielfaches an Investitionen in die touristische Infrastruktur ermöglicht. Und das in einem Gebiet, das zuvor von kleinen Pensionen geprägt war.

Naturereignisse sind eine gegebene Gefahr in Österreich. Aufgrund seines Landschaftsbildes ist fast ein Fünftel aller hiesigen Gebäude erheblichen Naturgefahren ausgesetzt. Dazu gehören Lawinen und Erdrutsche, aber auch Hochwasser. Und deren Ausprägung wird stark vom Klimawandel beeinflusst. Rechnen wir die sehr seltenen Extremereignisse mit ein, wie sie infolge des Klimawandels auch in Österreich zunehmen werden (wie etwa 200- oder 300-Jahr-Hochwasser), dann sind sogar 70 Prozent aller Gebäude betroffen. Mit ihnen sind rund eine Million Einwohner der Gefahr von Extremereignissen ausgesetzt.

Staat deckt Großteil der Kosten

Die Kosten, die der Staat tragen muss, um Gebäude und Infrastruktur nach Naturkatastrophen wiederaufzubauen oder Haushalte und Betriebe zu entschädigen, sind erheblich. Ein Beispiel: Das Hochwasser von 2003 verursachte Schäden in Höhe von mehr als drei Milliarden Euro, die großteils vom Staat beglichen wurden – auch wegen einer viel zu geringen Versicherungsrate gegen Schäden durch Naturgefahren.

Dabei sind die direkten Schadenskosten für den Staat noch das geringere Übel. Hinzu kommen ganz wesentliche indirekte Kosten – etwa, weil wichtige Dienstleistungen wie der öffentliche Transport und die Stromversorgung beeinträchtigt werden. Im Fall des Hurrikans Sandy 2012 etwa war das gesamte New Yorker U-Bahn-Netz für fast zwei Wochen außer Betrieb. Davon sind dann wiederum viele Arbeitgeber betroffen. Es kommt zu Lieferengpässen und Produktionsausfällen. Für die gesamte Volkswirtschaft und letzten Endes den Staat sind die Folgekosten durch entgangene Gewinne und Einnahmen sehr hoch.

Betriebsunterbrechungen führen zu geringeren Steuereinnahmen und höheren Sozialausgaben. Damit verbunden sind oft weiter reichende fiskalische Auswirkungen, vor allem, wenn ad hoc Umschichtungen im Staatshaushalt notwendig sind, sprich bei geplanten öffentlichen Ausgaben gespart werden muss oder Steuern erhöht werden müssen.

Teure Ad-hoc-Maßnahmen

OECD und Weltbank haben in einem gemeinsamen Bericht jüngst darauf hingewiesen, dass in vielen Ländern, die von zunehmend extremen Klimaereignissen betroffen sind, das Bewusstsein der verantwortlichen Entscheidungsträger in Bezug auf die fiskalischen Risken eher gering ist. Zwar gibt es Länder wie Chile oder Neuseeland, in denen man die Erfahrung gemacht hat, dass Erdbeben Schäden im Ausmaß von 20 Prozent des Bruttoinlandseinkommens anrichten können. Hier hat man entsprechend die Fiskalplanung deutlich verbessert. In anderen Ländern, in denen die Schäden nicht ganz so groß waren, scheint man bis heute nichts gelernt zu haben und reagiert auf Extremereignisse vor allem mit teuren Ad-hoc-Maßnahmen. Der Bericht von OECD und Weltbank plädiert – wenig überraschend – dafür, sehr viel planvoller vorzugehen, klare Regeln aufzustellen und Bürger wie Unternehmen zu verantwortungsbewusstem Handeln anzuregen.

Um die staatlichen Ausgaben bei Extremereignissen unter Kontrolle zu halten, empfehlen die Autoren klare Richtlinien für Schadenszahlungen. Denn je offener und unklarer solche Regeln formuliert sind, desto mehr verlassen sich Betroffene auf den Staat, anstatt für den Schadensfall selbst vorzusorgen.

Die Autoren empfehlen den betroffenen Ländern ebenso, das Ausmaß möglicher Schäden besser abzuschätzen. Obwohl in einigen Ländern, wie auch in Österreich, sehr gute Daten über vergangene Schäden und Schadensauszahlungen vorhanden sind und ausgezeichnete Modelle über die zu erwartenden Extremereignisse vorliegen, werden diese selten verwendet, um daraus fiskalische Auswirkungen abzuleiten. Sicher ist es schwierig, diesbezügliche Risken zu quantifizieren, aber oft hilft es schon, eine qualitative Bewertung einzubringen (wie zum Beispiel aktuell bei den Bränden in Australien), damit präventive Budgetmaßnahmen gesetzt werden.

Steuerzahler entlasten

Der Staat hat es in der Hand, seine Haftbarkeit bei extremen Naturereignissen zu begrenzen. Auch hierfür ein Beispiel: Nach extremen Niederschlägen im Sommer 2015 mit schlimmen Erdrutschen in einigen Tiroler Gemeinden gab ein Bürgermeister gegenüber Journalisten bekannt, dass „alle betroffenen Bürger ihre Häuser am selben Ort wieder aufbauen“ würden. Dank des österreichischen Katastrophenfonds und der spendenfreudigen österreichischen Bevölkerung passierte dies auch.

Das ist insgesamt eine dreifache Belastung für den Steuerzahler: Man investierte in noch massivere Schutzbauten, um die wiederaufgebauten Häuser zu sichern, und kann nun darauf warten, dass auch diese beim nächsten, womöglich noch extremeren Großwetterereignis versagen.

Man sieht an diesem Beispiel, dass die Kosten der Anpassungen an den Klimawandel für den Staat eine wachsende Verbindlichkeit bedeuten. Verringern lassen sich die Schäden extremer Naturereignisse nur, wenn man langfristig das Gefahrenpotenzial reduziert. In Mexiko, zum Beispiel, greift der Staat betroffenen Regionen und Gemeinden im Katastrophenfall zwar unter die Arme, wird jedoch für denselben Schadensfall Unterstützung beantragt, so reduziert er seine Hilfeleistungen allmählich auf null.

„Building back better“

Anstatt in immer massivere und teurere Schutzbauten zu investieren, sollten wir uns überlegen, wie sinnvoll es ist, weiter Vermögenswerte in Gefahrenzonen zu akkumulieren. Im Englischen gibt es den Ausdruck „Building back better“. Dahinter steckt die Idee, nicht aus symbolpolitischen Erwägungen am Ort der Katastrophe originalgetreu wiederaufzubauen, sondern genau zu überlegen, wo welche Art von Wiederaufbau sinnvoll ist. Hier ist nicht nur der Staat gefragt, sondern die gesamte Gesellschaft, die sich der Risken und Folgen von Klimaereignissen bewusst sein und eigenverantwortlich handeln sollte, anstatt sich im Schadensfall auf den Staat zu verlassen. All das fällt unter das Stichwort Prävention.

Und die ist immer günstiger als die späte Reaktion nach einer Katastrophe.

Die Autorin

Dr. Catherine Gamper (geboren 1980) arbeitet in der OECD zum Thema Klimawandelanpassung. Sie leitet die OECD Task Force on Climate Change Adaptation und länderbezogene Projekte im Bereich der Klimawandelanpassung. Davor war sie bei der Weltbank. Ihr Studium der Volkswirtschaftslehre hat sie an der Universität Innsbruck mit einem Doktorat abgeschlossen.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.01.2020)

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