Gastkommentar

Sexismus erlebt? Pech gehabt!

Immer wieder behaupten Frauen in Spitzenpositionen, nie diskriminiert worden zu sein. Dieses Leugnen ist eine oft unbewusste Strategie, um sich an ein maskulines System anzupassen.

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Die neue Frauenministerin sagt, sie habe „das Glück gehabt“, persönlich noch nie mit Sexismus am Arbeitsplatz konfrontiert worden zu sein. Haben also diejenigen, die Sexismus erleben, „Pech gehabt“? Jedenfalls reiht sie sich mit ihrer Aussage in die Runde jener in der Öffentlichkeit stehenden Frauen* ein, die meinen, in ihrem Karriereverlauf keinerlei Diskriminierung erfahren zu haben. Dazu zählen auch die Schauspielerin Nina Proll oder die Airbus-Managerin Grazia Vittadini. Sie verweisen darauf, dass sie sich „natürlich“ behaupten mussten und positionieren sich damit als „starke Frauen“, die sich nicht unterdrücken lassen.

Die Autorin Marita Haas beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Gleichstellung und Gender-Fragen.
Die Autorin Marita Haas beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Gleichstellung und Gender-Fragen. Christine Geserick

Wenn eine Frau ihren Job gut genug macht und sich nicht unterkriegen lässt, kommt die Akzeptanz von ganz allein und der Sexismus verschwindet – so lautet die dahinterliegende Botschaft. Frauen sollten sich in Diskussionen nicht unterbuttern lassen, sich mehr durchsetzen und mehr „reinhängen“. „Lean in“ lautet die Devise, bei der ständig und nachhaltig die strukturelle Diskriminierung vergessen oder negiert wird. Die Erfahrungen, die Frauen beim Sich-Reinhängen oder auch Sich-Auflehnen machen, unterscheiden sich nämlich ganz fundamental von jenen der Männer. Verhandelt eine Frau um ein höheres Gehalt, erfährt sie wesentlich öfter eine Zurückweisung ihrer Gehaltsvorstellung als ein Mann – unabhängig von ihrem „Verhandlungsgeschick“.

Es mag Beispiele geben, die anders sind. Frauen, die sich aus eigener Kraft hochgearbeitet haben, neutralisieren jedoch nicht das strukturelle Problem bzw. das Vorhandensein von genderspezifischen Barrieren, die es Frauen schwieriger machen in Führungspositionen zu gelangen.

Das Leugnen von Sexismus ist eine – oft unbewusste – Strategie, um sich an ein maskulines System anzupassen. Es geht einher mit der berühmten „dicken Haut“, die sich Generationen um Generationen von Frauen zugelegt haben. Die Botschaft, sich „mehr anzustrengen“, „nicht alles so ernst zu nehmen“, ist jedoch nur auf den ersten Blick eine Erfolgsformel; denn sie führt zu einer Verfestigung vorhandener Strukturen. Das gegenteilige Verhalten – das Aufzeigen von Schwachstellen im System; das Hinweisen auf Sexismus und Gender, – schwächt die Position der einzelnen Frau. Sie wird als „Störenfried“ betrachtet; als eine, die anders ist.

Meine Kritik richtet sich also nicht an die individuellen Frauen. Meine Kritik richtet sich an ein wirtschaftliches und gesellschaftliches System, das gleichermaßen diskriminierend ist, und es nicht zulässt, dass diese Diskriminierung hinreichend thematisiert und in weiterer Folge auch verändert wird.

Ich glaube ihnen nicht...

Behaupten Frauen, Sexismus wäre ihnen in ihrer Laufbahn noch nie begegnet, so glaube ich ihnen nicht.

Ich glaube ihnen nicht, dass sie niemals die Erfahrung gemacht haben, weniger Gehalt für einen Job angeboten oder erhalten zu haben.

Ich glaube ihnen nicht, niemals übergangen worden zu sein oder erst nachgerückt zu sein, als ein Mann abgesagt hat.

Ich glaube ihnen nicht, niemals sexistische Bemerkungen gehört zu haben.

Ich glaube ihnen nicht, weil die Zahlen ein anderes Bild ergeben.: Betrachtet man die 200 größten Unternehmen des Landes – und somit die, die am ehesten strukturell etwas verändern können –, so findet man dort nach wie vor nur 16 Prozent Frauen in Managementpositionen. Das durchschnittliche Einkommen von Arbeitnehmerinnen ist im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen signifikant geringer – der unerklärte Teil des Gender Pay Gaps (also jener nach Berücksichtigung von Faktoren wie Teilzeitarbeit, branchenspezifische Bezahlung etc.) beträgt nach wie vor 13,6 Prozent.

Man könnte den Gender Pay Gap als Sexismus-Gap bezeichnen. Und nichts daran wäre falsch.

Die Autorin

Dr. Marita Haas (*1977) ist Gender-Expertin & Unternehmensberaterin in Wien. Aus der Organisations- und Gender-Forschung kommend, begleitet sie Unternehmen dabei, gender-sensible Prozesse zu entwickeln, Vielfalt zuzulassen und ein diskriminierungsfreies Umfeld zu schaffen. Mehr Informationen: www.maritahaas.at

* Anmerkung: In der ersten eingereichten Fassung dieses Textes hat die Autorin das Gender* verwendet, um auch jene Menschen sichtbar zu machen, die sich nicht einem Geschlecht zuordnen oder zugeordnet werden wollen. Diese Schreibweise wurde zugunsten einer leichteren Lesbarkeit von der Redaktion abgeändert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.01.2020)

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