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Anleger hoffen auf Happy End im Brexit-Drama

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Experten gehen davon aus, dass ein Abkommen zwischen Großbritannien und der EU fristgerecht kommen dürfte. Vor diesem Hintergrund wird dem britischen Aktienmarkt eine große Aufholjagd vorausgesagt.

Vom Schrecken ohne Ende zum Ende ohne Schrecken: Nach jahrelangem Hickhack setzen immer mehr Börsianer auf einen glimpflichen Ausgang des Brexit-Dramas. Zwar sei die Zeit für den Abschluss eines Handelsabkommens zwischen Großbritannien und der EU knapp, ein gänzlich ungeordneter Austritt des Vereinigten Königreichs sei aber nicht zu befürchten, lautet ihr Hauptargument.

"Premierminister Boris Johnson muss auf die EU zugehen, um einen Kompromiss zu erzielen", sagt Daniel Kerbach, Chef-Investor des Bankhauses Merck Finck. Johnson werde dies sicher auch tun, da er bis zum Jahresende einen Deal präsentieren wolle. Auch Mark Dowding vom Vermögensverwalter BlueBay zeigt sich optimistisch. "Aus unseren Gesprächen in Brüssel in dieser Woche entnehmen wir, dass sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen möglichst reibungslos mit Großbritannien auf die Grundlagen der künftigen Handelsbeziehungen verständigen will. Damit dürfte auch das neuerliche Risiko eines harten Brexit gering sein."

Für eine umfassende Vereinbarung reiche die Zeit zwar nicht aus, prognostiziert Holger Schmieding, Chef-Volkswirt der Berenberg Bank. Er halte aber Teilabkommen zum Beispiel für die Automobil- und die Luftfahrtbranche sowie Übergangsregelungen für die Finanzindustrie für möglich. Außerdem könnten Anleger auf den "Boris Bounce" hoffen - einen zusätzlichen Schub für die Wirtschaft durch das geplante Konjunkturprogramm Johnsons. Zudem gebe es bei britischen Unternehmen Nachholbedarf, weil diese sich seit dem Brexit-Referendum 2016 mit Investitionen zurückgehalten hätten. Schmieding traut Großbritannien als einziger Volkswirtschaft in Europa ein Wachstum von mehr als zwei Prozent zu. Er betont, wichtig sei vor allem, dass durch den klaren Ausgang der Unterhaus-Wahlen im Dezember die lähmende Unsicherheit ein Ende habe. Premierminister Johnson werde nun alles daran setzen, dass sich in den Köpfen der Bürger festsetze, "das Jahr des Brexit war kein schlechtes Jahr".

Vor diesem Hintergrund sagen Experten dem britischen Aktienmarkt eine große Aufholjagd voraus. Im vergangenen Jahr hatte der Londoner Auswahlindex FTSE mit plus zwölf Prozent nur etwa halb so stark zugelegt wie der deutsche Dax, der pan-europäische EuroStoxx50 und der US-Index S&P 500. Anlagestratege Michael Hewson vom Brokerhaus CMC Markets hält es für möglich, dass der FTSE bald erstmalig die 8000-Punkte-Marke überspringt. Derzeit notiert der Leitindex bei knapp 7600 Zählern.

Pfund unter Druck

Weniger rosig beurteilen Experten die Aussichten für das Pfund Sterling. Dieses wertete zwar in den vergangenen Monaten um rund acht US-Cent auf derzeit gut 1,30 Dollar auf. Wegen der erwarteten Zinssenkungen der Bank von England werde es aber wieder unter Druck geraten. Angesichts der schwächelnden Konjunktur rechnen Investoren für Ende Jänner fest mit einer Absenkung des Schlüsselsatzes um einen Viertelprozentpunkt auf 0,5 Prozent. Unmittelbar vor dem Brexit-Referendum hatte das Pfund noch rund 1,50 Dollar gekostet.

Einige Börsianer mahnen allerdings zur Vorsicht. Neue Stolpersteine auf dem Weg aus der EU könnten Kursverluste der Währung auslösen und die Hoffnungen auf eine Aktienrally zunichtemachen. Der Ton beidseits des Ärmelkanals klinge rau, gibt Thomas Gitzel, Chefökonom der VP Bank, zu bedenken. Die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und Großbritannien würden alles andere als einfach.

"Kommen Zweifel an einer fristgerechten Einigung mit der EU auf, müssen Anleger im neuen Jahr mit politischem Gegenwind rechnen", warnt Ulrich Stephan, Chef-Anlagestratege für Privat- und Firmenkunden bei der Deutschen Bank. Dem BayernLB-Analysten Manuel Andersch bereitet die harte Haltung Johnsons Kopfschmerzen, der eine Verlängerung der Verhandlungsfrist ausschließt. Außerdem könnten die verstärkten Unabhängigkeitsbestrebungen der Schotten für Unruhe an den Börsen sorgen.

(APA/Reuters)

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