Neues Album

Halsey: Eine Sängerin zeigt ihre Wunden

„I hate everybody“, singt Halsey, relativiert aber gleich: „But maybe I don't.“
„I hate everybody“, singt Halsey, relativiert aber gleich: „But maybe I don't.“ (c) Universal
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Die toxische Kehrseite der Liebe ist das Spezialfach der US-Sängerin Halsey. Auch auf „Manic“ verwünscht sie verflossene Liebhaber.

„Tri-bi“, so definierte sie vor einigen Jahren ihre Verfasstheit. Ja, die amerikanische Sängerin Halsey ist bipolar, bisexuell und „bi-racial“ – und sie nützt diese Schwebezustände, um ihre Kunst zum Leuchten zu bringen. Jetzt legt sie mit „Manic“ ihr drittes Album vor, das zweite, das auf Nummer eins der amerikanischen Charts gekommen ist.

Einer der Gründe, warum ihr recht depressiver Zeitlupen-Electropop so gut ankommt, ist sicherlich, dass Halsey sehr persönliche Texte schreibt. Wohl auch, weil in der Praxis der amerikanischen Konversation Diskretion höchstes Gebot ist, werden die offenherzigen Lieder der 24-jährigen Sängerin aus New Jersey, die als Ashley Nicolette Frangipane eine schwierige Kindheit und Jugend durchlebt hat, so gierig konsumiert. Mit bedeutungsschweren Zeilen wie „I'm my own biggest enemy“ und „I could fall in love with anybody who don't want me“, beide aus dem Song „I Hate Everybody“, spricht sie offenbar den – nicht zu kleinen – problembeladenen Teil der US-Jugend an.

Vielleicht auch um ihre Street Credibility zu erhöhen, war Halsey eine Zeit lang mit dem berüchtigten Rapper G-Eazy zusammen. Die emotionalen Turbulenzen dieser Liaison verarbeitete sie nun auf einem guten Teil der neuen Lieder. Das Gift der offenbar toxischen Beziehung scheint noch zu tröpfeln. „I'm so glad I never ever had a baby with you, cause you can't love nothing unless there's something in it for you“, singt Halsey in „929“.

Das erinnert an Amy Winehouse, auf deren Alben jeweils eine dysfunktionale Partnerschaft seziert wurde. Ähnlich furchtlos blickt Halsey in alte Wunden, für das Cover hat sie sich sogar ein blaues Auge schminken lassen, was doch etwas plakativ scheint.

Für neue Beziehungen scheint sie jedenfalls noch nicht offen zu sein, für überraschende Sounds sehr wohl. Souverän mischt sie Pop, Country, R&B und ein wenig Trash-Rock, um das ewige Drama des jungen Menschen gültig fürs Jahr 2020 zu fixieren. Dies offenbar getreu dem Motto „Außer uns spricht ja niemand über uns“, welches sich all die neuen Sirenen von Ariana Grande bis Melanie Martinez zu eigen gemacht haben.

Vor dem selbst gebastelten Spiegel

Wir resümieren: Eine neue Ära der Transparenz ist im amerikanischen Girlie-Pop angebrochen. Halsey verarbeitet ganz bewusst biografische Episoden. Sie will Herrin ihres Narrativs bleiben, wie sie im Song „Ashley“ postuliert. „Standing now, in the mirror that I built myself. Took my heart and sold it out to a vision that I wrote myself.“ Pointierter Nachsatz: „And I don't wanna be somebody in America just fighting the hysteria.“

So reif ihre musikalischen Instinkte sind, so verloren muten manche ihrer Texte an. Bei Halsey geht es stets um Zweifel, Wut und jugendliche Orientierungslosigkeit. Manchmal mischt sie etwas mildernde Ironie hinein. In „I Hate Everybody“ etwa fügt sie an die zentrale Aussage ein relativierendes „But maybe I don't“. Das verschummerte, düster blubbernde Electropopstück „Graveyard“ protzt mit dem Gestus der Lebenshilfe: Halsey beschreibt das Phänomen der liebenden Selbstaufgabe. „The warning signs can feel like they're butterflies“, offenbart sie. Dann beginnt der Wahnsinn zu galoppieren: „I know when you go down all your darkest roads, I would've followed all the way to the graveyard.“

Auch in anderen Songs weist Halsey auf die Gefahren hin, die sich aus Romanzen entwickeln können. Weniger Risken birgt ihre anhebende Superstarkarriere. Sie wisse, was auf sie zukommt, erzählt Halsey gern in Interviews: Je berühmter, desto weniger Freunde. Sie wird es auf sich nehmen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.01.2020)

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