Bildungspolitik

Bildungsforscher sieht "Stupid Public Policy" als großes Übel

Die Presse/Fabry
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Für die Politik sei es einfacher zu suggerieren, sie könnte Qualität erreichen, indem Schüler und Lehrer stärker kontrolliert und unter Druck gesetzt werden. Das sei aber empirisch falsch, sagt Bildungswissenschafter Stefan Hopmann.

Susanne Wiesinger ("Machtkampf im Ministerium") sieht Parteipolitik als großes Übel im heimischen Bildungssystem. Für Bildungswissenschafter Stefan Hopmann ist hingegen nicht Parteipolitik das Problem, sondern "Stupid Public Policy": Österreich setze - wie andere reiche Länder auch - immer wieder auf Maßnahmen, von denen man bereits vorher wissen müsse, dass sie nicht funktionieren können.

Parteipolitik habe im Bildungsbereich in einer Demokratie absolut ihre Berechtigung, betonte der Professor der Uni Wien im Gespräch mit der APA. Immerhin sei unzweideutiges Expertenwissen in der Bildungspolitik eine Fantasie, es gehe dabei immer auch um normative Fragen und Werte.

Das Problem in Österreich sei vielmehr, dass Schule als maria-theresianische Behörde verstanden werde. Außerdem fehle eine Schulkultur, in der das soziale Umfeld der Schule integriert wird. Während etwa in Finnland Schulen selbst ihren Direktor wählen, würden in Österreich selbst Eltern als schulfremde Personen gelten.

Das Schulsystem werde in Österreich zwar als letzter Ort sozialen Ausgleichs gesehen. Damit aber wirklich alle Kinder unabhängig vom sozialen Status ihrer Familie dieselben Bildungschancen bekommen, müssten eigentlich jene, die außerhalb der Schule weniger Ressourcen - etwa Unterstützung durch die Eltern - haben, innerhalb der Schule mehr Unterstützung bekommen. "Das ist aber politisch schwer umsetzbar. Also setzt man laufend Maßnahmen, wo alle mehr bekommen", beklagte Hopmann.

Dazu kommen detaillierte Regelungen durch Bildungsministerium und Bildungsdirektionen (früher Landesschulräte), die beide "ziemlich abgehoben" von der Realität an den Schulen seien. Auf die Schulqualität habe die Verwaltung wenig Einfluss. "Das Schulsystem funktioniert trotz, nicht wegen dieser Regelungen."

Schule als Behörde

Was die Schulen aus Hopmanns Sicht bräuchten, wären echte Entscheidungsspielräume. Stattdessen setze die heimische Bildungspolitik weiter auf Zentralisierung und Standardisierung durch Maßnahmen wie Pflichtkindergartenjahr, Zentralmatura, Bildungsstandards oder Talentechecks. "Aus dieser Konstruktion von Schule als Behörde entsteht die Fantasie, man könnte durch Vollzugsvorschriften Qualität generieren, so wie in der Straßenverwaltung." Tatsächlich zerstöre man dadurch die Fähigkeit der Schulen, auf die unterschiedlichen Ressourcen der Kinder zu reagieren.

Für die Politik sei es einfacher zu suggerieren, sie könnte Qualität erreichen, indem Schüler und Lehrer stärker kontrolliert und unter Druck gesetzt werden. "Das ist aber empirisch falsch. Es gibt kein einziges Beispiel, historisch oder vergleichend, dass durch solche Systeme nachhaltige Leistungssteigerung erreicht oder mehr Chancengleichheit entstanden wäre."

Dass trotzdem an diesen "Stupid Public Policies" festgehalten wird, ist für Hopmann nachvollziehbar. "Ich bin den Politikern nicht böse, die wollen halt etwas vorzeigen können. Bei der kurzen Halbwertszeit, die hierzulande Unterrichtsminister haben, ist ja meistens schon ein neuer da, wenn die Evaluation der Politik des letzen da ist."

(APA)

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