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Warum wir zu spät zur Party gekommen sind

(c) Peter Kufner
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Den Millennials in westlichen Ländern hat die Finanzkrise von 2008 einen gehörigen Strich durch ihre Karriererechnung gemacht.

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Es ist ja so: Manchmal hat man gerade kein Glück, und dann kommt das Pech auch noch dazu. Und offenbar beschleicht viele Menschen in Kontinentaleuropa, Großbritannien und den USA genau so ein Gefühl. Denn ein zentrales Versprechen scheint nicht mehr eingelöst zu werden: „Meine Kinder werden es einmal besser haben als ich.“ Jede Elterngeneration will diesen Satz unterschreiben. Müssten Soziologen das Lebensgefühl der Aufschwungsgeneration der Nachkriegsära in einem Satz zusammenfassen, so würde er genau so lauten. Und tatsächlich hätte es bis vor Kurzem niemand gewagt, an dieser These zu rütteln. Doch nachdem mit dem Kollaps der US-Investmentbank Lehman Brothers und der größten Staatspleite der jüngeren Vergangenheit in Griechenland die Wirtschaftssysteme des Westens doch massiv wankten, scheint dieser Satz fast schon zynisch zu klingen: Sozialer Aufstieg ist alles andere als gewiss. Denn Wachstum scheint in den Industrienationen mittlerweile so etwas wie ein Fremdwort zu sein – zumindest für die jungen Generationen. Erlebten die Babyboomer, also jene Menschen, die zumeist zwischen 1946 und 1964 auf die Welt gekommen waren, in ihren ersten Jahren auf dem Arbeitsmarkt noch einen Boom und im Schnitt ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von drei Prozent pro Kopf, so war das bei den Mitgliedern der Millennials (den zwischen 1982 und 2000 Geborenen) ganz anders. Die große Finanzkrise des Jahres 2008 hat ihnen einen Strich durch die Karriererechnung gemacht.

Unseren Kindern soll einmal . . .

Die erste „große Krise“ des 21. Jahrhunderts hat tiefe Spuren in den Erwerbsbiografien vieler junger Menschen hinterlassen. (. . .) Es fühlt sich für meine Generation, ich bin selbst im Jahr 1986 geboren, also nicht ohne Grund so an, als wären wir ein bisschen zu spät gekommen. Es ist ganz so wie bei einem privaten Fest, bei dem man erst spät auftaucht. (. . .) Denn es wurde ausgelassen gefeiert, doch die Feier war etwas knapp kalkuliert. Die guten Biere sind schon ausgetrunken, jetzt stehen nur noch einige lauwarme Dosen herum. Von den Snacks ist sowieso schon alles bis auf die Salzstangen aufgegessen, und auch die Musik war wohl am Anfang besser. Timing ist nun einmal alles.

Und bei Partys wie auch sonst gilt: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Aus „Unsere Kinder sollen es einmal besser haben“ wurde „Unseren Kindern soll einmal etwas übrig bleiben“. (. . .) Die Meinungsforscher des Pew Research Center haben weltweit dieselbe Frage gestellt: Wenn die heutigen Kinder erwachsen werden, wird es ihnen dann wirtschaftlich besser gehen als ihren Eltern? In der westlichen Welt wird diese Frage mittlerweile offenbar überwiegend mit Nein beantwortet. Nur 15 Prozent der Franzosen, 18 Prozent der Griechen, 19 Prozent der Italiener und 23 Prozent der Briten haben einen optimistischen Ausblick. In den Schwellenländern hingegen sieht es anders aus. In China bejahen mehr als 80 Prozent den positiven Ausblick, auch in Polen gibt es viel Aufschwungseuphorie. Es ist unübersehbar: Die große Krise des Jahres 2008 hat (. . .) zu einem Umdenken geführt. Die Zukunft für die Kinder muss nicht besser werden. Ja, man glaubt nicht mehr, dass es immer besser wird.

. . . etwas übrig bleiben

Dabei zeigen die Daten, dass wir in einer schizophrenen Welt zu leben scheinen. Einerseits geht es der Menschheit so gut wie noch nie. Weniger Menschen leiden Hunger; Einkommen und Lebenserwartung sind nicht nur in Europa und den USA im langfristigen Vergleich gestiegen, sondern vor allem auch in Asien, in Teilen Lateinamerikas und zuletzt auch in Afrika. (. . .)

Und zugleich haben viele junge Menschen in Italien, Deutschland, Großbritannien oder den USA das Gefühl, dass die Karriereleiter keine Sprossen mehr hat. Zum ersten Mal seit 1945 beklagt man etwa in Großbritannien, dass die Einkommen für junge Menschen nicht mehr steigen. Das Versprechen der besseren wirtschaftlichen Zukunft hat sich nicht nur als leer herausgestellt, sondern vielerorts auch als zynisch, denn in Ländern wie den USA, Frankreich, Italien und Deutschland sind die realen Einkommen junger Menschen sogar gesunken. Von einem „Verrat“ an der jungen Generation hat die britische Tageszeitung „The Guardian“ berichtet, nachdem Journalisten dort Daten aus den letzten 40 Jahren zum Einkommen der verschiedenen Generationen ausgewertet hatten. Tatsächlich lässt die nüchterne Analyse keine Zweifel zu: Der materielle Wohlstand junger Berufstätiger stagniert in vielen Industrienationen. In den USA sind die unter 30-Jährigen nun einkommensschwächer als Menschen im Rentenalter. Auch in sehr gut ausgebauten Sozialstaaten wie Österreich hat ein junger Mensch ein größeres Armutsrisiko als ein Pensionist. Und mit Blick auf die vergangenen 50 Jahre sind die Einkommen von Pensionisten und Älteren um ein Vielfaches schneller gewachsen als die von jungen Menschen. Die Party ist auf den Konten der Älteren zu sehen, bei den Jüngeren hingegen nur zu erahnen. (. . .)

Schwerer Rucksack

Bereits vor dem großen Crash 2008 war offensichtlich, dass sich die älteren Generationen massiv zusätzlich verschuldeten, um noch mehr möglichst schnell zu konsumieren. In Europa hat man, beseelt vom Friedensprojekt der EU, vergessen sich zu überlegen, wie man aus dem Euroraum auch wirklich einen funktionierenden gemeinsamen Wirtschaftsraum machen könnte. (. . .) Und darüber hinaus wurden die kleinen Erfolge der Umweltpolitik im Westen von den großen Verschmutzern in den aufstrebenden Volkswirtschaften in den Schatten gestellt. Kurzum: Man kümmerte sich weder um finanzielle noch um ökologische Nachhaltigkeit.

Nicht nur wenn es um die Umwelt geht, haben die Älteren der jüngeren Generation einen schweren Rucksack hinterlassen. Es ist klar, dass die Umweltverschmutzung, die eine Konsequenz des schnellen wirtschaftlichen Wachstums war, nicht mehr ohne Wei- teres fortgesetzt werden kann. (. . .) Auch die Staatsschulden, die nichts anderes sind als ein Transfer von den Jungen zu den Älteren, sind in der westlichen Welt explodiert. Standen die Industrienationen 1960 noch nur mit einem Drittel ihrer Wirtschaftsleistung in der Kreide, waren es 2015 bereits 92 Prozent. Und die Schulden wurden nicht nur gemacht, um in gute Kindergärten und Schulen zu investieren, sondern um kurzfristig die Wirtschaft zu stützen, Reformen aufzuschieben oder Wahlge- schenke zu machen. (. . .)

Man hört immer öfter die Floskel: „Meine Kinder sollen es einmal zumindest nicht schlechter haben als ich.“ Das ist vielleicht immer noch nicht schlecht im historischen Vergleich oder angesichts von Regionen auf der Welt mit weitaus niedrigerem Wohlstand als Kontinentaleuropa. Und doch ist es ein Downgrade. Die westliche Gesellschaft hat einen Kater, und diejenigen, die noch nicht einmal zum Feiern gekommen sind, müssen nun für die Entgiftung sorgen.

Dieser Text ist ein gekürzter Vorabdruck aus dem Buch „Zu spät zur Party – Warum eine ganze Generation den Anschluss verpasst“ (Ecowin, 180 Seiten) von Lukas Sustala, das am Donnerstag erscheint.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Der Autor

Lukas Sustala (*1986) ist Ökonom bei der Agenda Austria. Er forscht in den Bereichen Steuern, Budget und Finanzmärkte und war zuvor u. a. Chefredakteur von NZZ.at.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.01.2020)

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