Performance

Tanz „wie unter dem Mikroskop“

Zwei Jahre lang erarbeitete Doris Uhlich (re.) das Stück mit den ehemaligen Zeitraumexit-Intendanten Gabriele Oßwald und Wolfgang Sautermeister.
Zwei Jahre lang erarbeitete Doris Uhlich (re.) das Stück mit den ehemaligen Zeitraumexit-Intendanten Gabriele Oßwald und Wolfgang Sautermeister.Michèle Pauty
  • Drucken

Dass ihre Protagonisten schon älter sind, ist für Doris Uhlich kein Manko, sondern Bereicherung: Ihr Stück „stuck“ hält sie für melancholisch, aber voller Poesie.

Doris Uhlich ist schon wieder dabei, Neues zu erforschen. Hat sie uns nicht gerade mit ihrer Soloperformance „Tank“ zum Grübeln gebracht? Eine nackte Frau in einer Phiole? Ein biochemisches Experiment? Oder ist das Ding eine Art Rakete? Und hat sie uns nicht kürzlich mit 120 nackten Leibern in „Habitat“ irritiert? Auch in ihrem neuen Stück „stuck“ (englisch für stecken, feststecken) ist die Konstellation, das Setting ungewöhnlich. Die Performer – Gabriele Oßwald und Wolfgang Sautermeister – sind in der Kunstszene keine Unbekannten: Sie sind Mitbegründer von Zeitraumexit, einem Künstlerhaus in Mannheim – und haben Uhlich vor drei Jahren, als sie ihren Abschied als Intendanten feierten, um eine Zusammenarbeit gebeten. Und das bald. „Als wir mit dem Projekt begonnen haben, war ich 66“, sagt Oßwald, „und da kam die magische Zahl 70 unaufhaltsam auf mich zu. Ich hatte die Befürchtung, dass es mit jedem Jahr schwieriger wird. Ich war beunruhigt, weil man ja sagt, für Tanz braucht es einen geschmeidigen, jungen, fitten Körper. Aber das ist Unsinn.“

Natürlich. Denn Uhlich versteht sich auf das Ungewohnte. Seit zwei Jahren arbeiteten die Drei an dem Stück. Es sei „allmählich gewachsen“, sagt Uhlich. „Ich habe gemerkt, dass die beiden eine wahnsinnige Bühnenpräsenz haben. Dass ich da wieder mehr in der Stille arbeiten kann, mit einer reduzierten Form von Tanz, sprich: Es ist eine eher minimalistische Arbeit. Aber gerade in dieser Reduktion entfaltet sich eine ungeheure Konzentration und Kraft im Raum.“ Dabei ging sie der Frage nach, was „unbeweglicher Tanz“ sein könnte, und wollte einen Resonanzraum für das Publikum schaffen, um über den Stillstand, das Auf-der-Stelle-Treten nachzudenken. „Natürlich schwingt das Erlebte der beiden mit, die Lebenserfahrung, die berufliche Vergangenheit. Und das Alter schwingt auch mit.“ Es ist aber kein Manko, sondern eine Bereicherung. „Je älter man wird, desto mehr wird der eigene Körper ,stuck‘“, sagt Oßwald. „Gleichzeitig ist die Lebensenergie da. Es sind die Gegensätze zwischen diesem weiter wollen, sich bewegen wollen – es aber nicht können. Wenn man dann nicht zusammensackt, sondern immer wieder neu anfängt – diese Erfahrung war für mich sehr wertvoll.“

Arbeiten „wie unter dem Mikroskop“

Man kann das aber auch anders denken, sagt Sautermeister: „Das Stück hat einen elementaren Blick auf einen Zustand, wo man das Gefühl hat, man kommt nicht weiter, tritt auf der Stelle oder arbeitet gegen gewaltige Widerstände von außen. Das kann schlimm sein. Eine Krise.“ Uhlich mag es, dass man viel hineininterpretieren kann: „Als Zuschauer kann man seine Gedanken schweifen lassen, wo man selbst im Leben solche ,Stuck‘-Momente erlebt, warum man sich selber Hindernisse in den Weg legt oder welche gesellschaftlichen oder politischen Strukturen etwas verunmöglichen.“

Nach ihrer bisher größten Arbeit „Habitat“, die in der Halle E gezeigt wurde, geht Uhlich mit „stuck“ nun in das kleinste Studio des Tanzquartiers. Das fühle sich an „wie unter dem Mikroskop“, sagt sie. „Die Basis ist Ruhe. Die Musikalität sind die Körper.“ Das Stück lebt atmosphärisch vom Widerspruch zwischen Leere (das Studio ist nur weiß) und Dichte (der Performance). Die Drei beschreiben es als melancholisch, poetisch und ein bisschen skurril. Jedenfalls keine leichte Kost, sagt Sautermeister: „Es führt einen in eine Enge rein, die man schon ertragen muss. Es gibt viele Menschen, die zerbrechen daran, dass sie aus dieser Enge nicht herausfinden. Es ist unser Verständnis von Kunst, dass man auf diesen zutiefst menschlichen Aspekt schaut. In diesem Fall wird er wie mit einem Brennglas gezeigt.“

Nackt neben einem Urmenschen

Uhlich ist in den kommenden Monaten erfreulich präsent. Bis 1. Februar läuft „stuck“ in den Studios des Tanzquartiers, das zum Saisonabschluss im Juni auch noch einmal ihr bisher größtes Stück „Habitat“ zeigen wird. Schon im April verwirklicht sie sich einen lang gehegten Traum: „Es gibt eine site-specific Version von ,Tank‘ im Naturhistorischen Museum: Ich performe in der anthropologischen Abteilung“, freut sie sich. Das NHM sei „ein Gebäude voller Geschichte“, mit Vitrinen, die ihrem „Tank“ durchaus ähnlich sind. „Und da ist auch ein Urmensch – ich habe einen Platz ganz in seiner Nähe“. Fünf Stunden am Tag will sie im Museum performen, einen Loop aus einer am Stück orientierten Improvisation. Ob das Museum ein Warnschild aufstellen wird: „Vorsicht! In diesem Raum könnte Ihnen eine nackte Frau begegnen!“? „Die sind dort ganz locker“, sagt Uhlich, „weil sie sagen: Da stehen eh lauter Nackte herum. Und warum sollte man jetzt vor einer echten nackten Frau Angst kriegen?“

Performances: „stuck“: 24.+25.1. und 30.1.–1.2. im TQW; „Tank“: 22.–24.4. im NHM; Habitat“: 26.+27.6., Halle E

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.01.2020)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.