Holocaust-Gedenken

„Böse Geister zeigen sich im neuen Gewand“

In der „Halle der Erinnerung“ gedachten Alexander Van der Bellen, Emmanuel Macron, Benjamin Netanjahu, Wladimir Putin und F. W. Steinmeier des Holocausts.
In der „Halle der Erinnerung“ gedachten Alexander Van der Bellen, Emmanuel Macron, Benjamin Netanjahu, Wladimir Putin und F. W. Steinmeier des Holocausts.APA/AFP/POOL/RONEN ZVULUN
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Israel beging in Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem Staatsakt zum 75. Jahrestag des KZ Auschwitz. Auch Bundespräsident Van der Bellen nahm daran teil. USA starten lang angekündigte Nahost-Initiative.

Jerusalem. Knapp ein Jahr ist es her, dass Alexander Van der Bellen eine Führung durch die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem bekommen hat. Vor der zentralen „Halle der Erinnerung“, in der die Namen der NS-Konzentrationslager eingraviert sind und wo die „ewige Flamme“ lodert, wartete Reuven Rivlin, Israels Präsident.
Zum 75. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz ist Van der Bellen zurückgekehrt in das in den Berg gehauene Holocaust-Memorial im Westen Jerusalems, und er hat einen aus Österreich stammenden Auschwitz-Überlebenden zum Besuch eingeladen – Amnon Berthold Klein.

Neuerlich sprach der Präsident von Österreich als Heimat von Opfern und Tätern. Den Satz „Nie wieder Auschwitz“ würde wohl jeder in Europa unterschreiben, betonte der 76-Jährige. Zugleich würde der neu entflammte Antisemitismus und Rassismus in Europa Fragen aufwerfen: „Wie kam es dazu; wie ist es möglich, dass so viel geduldet wurde und so viele Täter sich beteiligt hatten?“

Warnung an den Iran

Der österreichische Präsident war diesmal aber nicht allein mit seinen Reflexionen. Mehr als 100 Auschwitz-Überlebende hatten sich zu der Gedenkzeremonie eingefunden, dazu mehr als 40 Staats- und Regierungschefs, Könige und Prinzen. Noch nie in seiner 71-jährigen Geschichte hat der Staat Israel einen ähnlich hochkarätig besetzten Staatsakt erlebt. Rivlin und Langzeit-Premier Benjamin Netanjahu hatten alle Hände voll zu tun, die internationalen Zelebritäten in Empfang zu nehmen. Rivlin sprach seinen Dank „für die Solidarität mit dem jüdischen Volk“ aus.

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Netanjahu nutzte den Auftritt mitten im dritten Wahlkampf innerhalb eines Jahres derweil auch zu politischen Zwecken – zu einer harschen Warnung, die sich vor allem an den Erzfeind im Iran richtete, den „antisemitischsten Staat der Welt“. „Wir werden keinen weiteren Holocaust zulassen. Wir haben gelernt, uns selbst zu verteidigen“, schwor er. Israel sei ein Schutzschild für alle Juden.

Sein Rivale Benny Gantz, der Führer des Oppositionsbündnisses Blau-Weiß, stand ihm indes in nichts nach. In Zeitungen wie der „Welt“ veröffentlichte der Ex-Generalstabschef unter dem Titel „Die Leiden meiner Mutter“ (diese hatte als 17-Jährige das Martyrium im KZ Bergen-Belsen überstanden) einen Essay, der ebenfalls das Regime in Teheran ins Visier nahm: „Der Iran will Israel als Nation, aber auch als Symbol der freien Welt zerstören.“ Auch Gantz gab der „Aufstieg von Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit, gepaart mit der Leichtigkeit, mit der sich Wutgefühle mittels moderner Technologie verbreiten können“ zu denken.

In diesen Tenor stimmte Rivlin ein: „Antisemitismus hört nicht bei den Juden auf. Antisemitismus und Rassismus sind Krankheiten, die Gesellschaften von innen zerstören.“ Die Hauptredner variierten die Mahnung: US-Vizepräsident Mike Pence, Emmanuel Macron, Wladimir Putin und Prinz Charles als Vertreter der Alliierten – und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, dem die Ehre zuteil wurde, als Repräsentant Deutschlands, beladen mit „großer historischer Schuld“, das Wort zu ergreifen, jedoch auf Englisch.

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„Industrieller Massenmord“

„Die bösen Geister zeigen sich heute in neuem Gewand. Mehr noch: Sie präsentieren ihr antisemitisches, ihr völkisches, ihr autoritäres Denken als Antwort für die Zukunft, als neue Lösung für die Probleme unserer Zeit.“ Namens der Nazi-Vorväter formulierte Steinmeier seine Reue für den „industriellen Massenmord an sechs Millionen Jüdinnen und Juden, das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte“. Er berichtete vom „blühenden“ jüdischen Leben in Deutschland, über das der versuchte Anschlag auf die Synagoge in Halle freilich einen Schatten geworfen hatte. Für sein Bekenntnis „Wir stehen an der Seite Israels“ erntete er Applaus.

Kreml-Chef Putin, der im Vorfeld im Zentrum einer Kontroverse mit Polen stand und in seiner Rede die Rolle der Roten Armee bei der Befreiung von Auschwitz und Deutschlands hervorhob, zeigte sich nicht nur demonstrativ jovial mit Netanjahu. Er schlug auch einen Gipfel der Veto-Mächte des UN-Sicherheitsrats – neben Russland auch die USA, China, Großbritannien und Frankreich – als globales Supergremium vor.
Und auch die USA hatten in Jerusalem eine Initiative in petto. Im Namen Donald Trumps überbrachte sein Vize Pence eine Einladung an Netanjahu und Gantz zu einem Treffen in Washington, wo er seinen lang angekündigte Nahost-Friedensplan präsentieren und mit ihnen erläutern will.

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Am Ende des Holocaust-Forums – quasi also eher am Rande – kam dann doch noch ein Überlebender zu Wort: Rabbi Israel Meir Lau. Bereits im Vorfeld hatte es Kritik an dem Gedenkakt gegeben, unter anderem von Holocaust-Überlebenden, denen aus Platzgründen die Teilnahme versagt blieb. Derzeit leben in Israel noch rund 200.000 KZ-Überlebende.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.01.2020)

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