Gastkommentar

Das Ende der Prinzessinnen-Ära

Meghan und Harry auf einem Bild vom 7.1. 2020.
Meghan und Harry auf einem Bild vom 7.1. 2020. (c) imago images/i Images (Pool / i-Images via www.imago-images.de)
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Ex-Herzogin Meghan Markle durchbricht den klassischen Prinzessinnenmythos – und regt damit erstaunlicherweise sehr viele auf.

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„. . . und dann rettete die mutige Reiterin den Prinzen aus seinem Turm und nahm ihn mit in ihr Land. Wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.“ So könnte man den Rückzug von Meghan und Harry aus dem britischen Königshaus auch umschreiben: Als Umkehrung des klassischen Märchenstoffs, in dem Prinzessinnen von mutigen Rittern gerettet werden. Tut man das aber, tritt man sich – wie ich kürzlich auf Facebook erfahren durfte – wütende Reaktionen ein, und auch auf diesen Kommentar werden viele irritiert reagieren und kommentieren: „Das interessiert mich nicht, warum muss ich das lesen?“

Aber was regt die Leute so daran auf, dass sie nicht einfach weiterblättern, sondern wütend aufstampfen? Und warum hassen so viele Meghan Markle dafür, dass sie und ihr Ehemann Harry – gemeinsam – beschlossen haben, ihre ohnehin nachrangige Rolle am britischen Hof aufzugeben?

Die Antwort ist simpel: Die Ex-Herzogin durchbricht den Prinzessinnenmythos, und das rüttelt an den Grundfesten der bürgerlichen Geschlechterordnung. Die jahrzehntelange Wiederholung von Prinzessinnengeschichten erfüllte einen Zweck: Sie untermauern eine Ordnung, in der die Heirat mit dem sprichwörtlichen Prinzen der einzige Weg zur Erfüllung, die Rettung durch einen Mann der einzige Ausweg aus misslicher Lage ist. Eine Ordnung, aus der zwangsläufig Erwartungen sowohl an Männer als auch an Frauen entstehen, die nur mühsam unter einer gewissen Selbstverleugnung zu erfüllen sind.

Dieser Prinzessinnenmythos ist recht jung – noch viele Märchen der Gebrüder Grimm haben differenziertere Frauenrollen zu bieten. Er hatte nie etwas mit realen Prinzessinnen zu tun, sondern richtete sich an die Frauen der bürgerlichen Mittelschicht. Er schafft ein Bild von Liebe, in dem die Frau vom Mann erobert wird; ein Bild von Familie, in dem die Frau wartet, während der Mann draußen Abenteuer erlebt. Was banal klingt, war eine Voraussetzung für das (historisch kurze) Funktionieren der Kleinfamilie im 20. Jahrhundert und zog sich jahrzehntelang durch die Populärkultur, von Disney-Prinzessinnen bis zu den Romcoms aus Hollywood. Von den Prinzessinnenkostümen, mit denen man weder rennen kann, noch Superkräfte bekommt, bis zu Märchenhochzeiten, bei denen verschleierte Frauen in jungfräulichem Weiß vom Vater an den Bräutigam übergeben werden.

Die böse Hexe verführt ihn!

Meghan Markle schien der Beweis für die Gültigkeit dieser Erzählung über Frauenrollen. Nicht umsonst fieberten 2018 Milliarden bei der Hochzeit zwischen Meghan und Harry stundenlang mit. Und jetzt sticht sie gemeinsam mit ihrem Mann durch die Seifenblase. Skandal! Sofort wird ein anderer Mythos über Frauenrollen bemüht: Die schöne, böse Hexe verführt den Mann dazu, etwas zu tun, was er nicht will. Wenn irgendjemand das Schema klar definierter Rollenbilder verlässt, erschüttert das offenbar für viele die Grundfesten des eigenen Platzes in der Gesellschaft. Das erklärt auch, warum gerade traditionell gesinnte Männer so gereizt auf die Präsenz von Meghan Markle in Medien reagieren.

Doch es nützt nichts: Die Zeit der Prinzessinnen, deren Aufgabe sich darin erschöpft, beim Gerettetwerden schön auszusehen, ist vorbei. Nicht einmal Disney-Filme erzählen die Geschichte heute noch: Die Eiskönigin Elsa wird in „Frozen“ von ihrer Schwester Anna gerettet statt vom Prinzen, Häuptlingstochter Vaiana kommt überhaupt ohne „Love Interest“ aus.

Corinna Milborn (* 1972) ist Informationsdirektorin der Sendergruppe ProSiebenSat1Puls4 und Moderatorin einiger Sendungen auf Puls4 und Puls24. Sie diskutiert am Montag (27.12.) im Presseclub Concordia auf Einladung des Vereins PolEdu – Politics & Education zur Frage „Darf man das noch sagen?“ mit Andreas Khol, Max Zirngast und Rudi Fußi (18.30 h). www.poledu.at/#events

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.01.2020)

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