Chinas Behörden erkannten viel zu spät, wie massiv die Krise ist. Als die Krankheit sich ausbreitete, tanzten die Funktionäre. Jetzt wird im Eilzugstempo ein neues Spital gebaut.
Peking. Dutzende Bagger wühlen die rote Lehmerde auf, dicht an dicht gedrängt stehen sie auf der Brachfläche. In nur einer Woche errichtet die Lokalregierung von Wuhan (Provinz Hubei) ein riesiges Krankenhaus mit über tausend Betten, um dem riesigen Ansturm der Patienten nachzukommen. Noch vor Ende des Monats soll die Klinik den Betrieb aufnehmen.
Wie notwendig eine solche Maßnahme ist, zeigen unzählige Videoaufnahmen aus der Elf-Millionen-Metropole, die in sozialen Netzwerken kursieren: Sie zeigen hoffnungslos überfüllte Wartehallen von Spitälern, vor Erschöpfung auf dem Boden liegende Menschen und Patienten, die trotz schwerer Symptome aus Platzmangel nach Hause geschickt werden müssen.
Ohne Frage: Die zentralchinesische Stadt Wuhan, von wo aus sich das neuartige Coronavirus verbreitet hat, befindet sich im Ausnahmezustand. Seit Donnerstag ist die Stadt abgeriegelt, die U-Bahnen fahren nicht mehr. Ab Freitag hat sich auch die Versorgungslage in einigen Bezirken verschärft: Reporter berichten von geleerten Supermarktregalen.
Auf Twitter schreibt Qinqing Chen, Chefreporterin der „Global Times“, über die Einwohner von Hubei: „Viele von ihnen haben bis zum Donnerstag nicht realisiert, dass das Coronavirus eine große Gesundheitskrise darstellt – obwohl die ersten Infektionen bereits Mitte Dezember erfolgt sind.“
Die Grenzen der Transparenz
Dabei ist genau die streng gesteuerte Informationspolitik der Zentralregierung in Peking daran schuld: Die Nachrichten im Staatsfernsehen berichten vor allem über die Feiern zum chinesischen Neujahrsfest. Die „Volkszeitung“, das Propagandaorgan der kommunistischen Partei, erwähnt auf der Titelseite ihrer Freitagsausgabe das Coronavirus mit keinem Wort. Noch immer lautet die offizielle Botschaft, alles sei unter Kontrolle. Es ist ein doppeltes Spiel: Zu Recht wurde die chinesische Regierung dafür gelobt, dass sie im Vergleich zur Sars-Epidemie von 2002 transparenter agiere und offener mit internationalen Gesundheitsorganisationen zusammenarbeite. Doch im Inneren zeigt sich, dass ein totalitäres System ohne freie Medien bei Transparenzfragen rasch an seine Grenzen stößt.
Vor allem die Lokalbehörden in Wuhan haben zu Beginn des Virenausbruchs geradezu naiv optimistisch, wenn nicht gar fahrlässig gehandelt. Als Anfang Jänner einige Bewohner Wuhans online über die Ausbreitung einer Lungenseuche geklagt hatten, wurden sie verhaftet – wegen Verbreitung von Gerüchten. Noch vergangenen Sonntag organisierte die Regierung in Wuhan ein Neujahrsbankett für mehr als zehntausend Familien. Den Dienstagabend verbrachten die obersten Parteikader der Provinz auf einer Neujahrsgala – zur gleichen Zeit, als sich in der Stadt die schwerwiegende Gesundheitskrise bereits andeutete.
Am Donnerstag schließlich riegelten die Behörden Wuhan und danach weitere Städte von der Außenwelt ab, mehr als 43 Millionen Menschen waren am Freitag von den Maßnahmen betroffen.
Verbotene Stadt geschlossen
Mit dem Landkreis Guangshan in der Provinz Henan sind die Quarantänemaßnahmen inzwischen auch über die Provinz Hubei hinausgelangt. Doch das könnte nur die Spitze des Eisbergs sein. Im mehrere Zugstunden entfernten Shanghai hat die Lokalregierung mehrere Museen, Kinos und das örtliche Disneyland geschlossen. Peking zeigte sich am Freitag zwar ruhig, doch auch hier wurden viele Touristenattraktionen – wie etwa die Verbotene Stadt – gesperrt.
Japan und die USA haben inzwischen eine Reisewarnung für die Region ausgegeben. Vor allem die Regierung in Japan verfolgt die Ausbreitung des Coronavirus mit Argusaugen, denn in Tokio finden in ziemlich genau sechs Monaten die Olympischen Sommerspiele statt. Bisher bestätigte Japan bereits zwei vom Virus infizierte Menschen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.01.2020)