Literatur

Die Außenseiter in Uniform

Thomas Mullen schlägt eine Brücke von 1950 bis zur Gegenwart. Verbindendes Element ist der Rassismus.
Thomas Mullen schlägt eine Brücke von 1950 bis zur Gegenwart. Verbindendes Element ist der Rassismus.(c) Jeff Roffmann
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Atlanta im Jahr 1950: Die ersten schwarzen Polizisten der Stadt kämpfen in „Weißes Feuer“ von Thomas Mullen um Akzeptanz und Gerechtigkeit. Eine Lektüre, die wütend macht.

Ein junger weißer Gegenwartsautor, der über allgegenwärtigen Rassismus in den USA der 1940er-Jahre schreibt? Ob das gut gehen kann? Spätestens mit seinem Debüt „Darktown“ hat Thomas Mullen daran keine Zweifel gelassen. Damals stellte er die neu geschaffene, achtköpfige Gruppe von „Negro“-Polizisten vor, die im Atlanta des Jahres 1948 ihren Dienst versehen. Vor Kurzem hat er mit „Weißes Feuer“ nachgelegt.

Mittlerweile ist die Truppe unter Führung eines weißen Sergeanten auf zehn Männer angewachsen. Dennoch ist ihr Job eigentlich unmöglich: Drei Viertel der Stadtbevölkerung sind schwarz und leben zusammengepfercht auf einem Fünftel der Gesamtfläche Atlantas.

Erneut müssen die Außenseiter in Uniform an vielen Fronten zugleich kämpfen, sitzen praktisch zwischen allen Stühlen. Von den weißen Polizisten werden sie nicht ernst genommen, immer noch hoffen große Teile der weißen Uniformierten, dass dieses „merkwürdige Experiment“ endlich vorbeigehen möge. Nicht wenige davon gehören dem Ku-Klux-Klan an. Aber auch von der Bevölkerung in „Darktown“, also dem Schwarzenviertel, werden sie argwöhnisch betrachtet – als Handlanger der Weißen. Man begegnet ihnen mit Skepsis, nicht mit Respekt.

Tatsächlich haben die schwarzen Polizisten auch nahezu keine Befugnisse. Wollen sie gegen Verdächtige vorgehen, müssen sie zur nächsten Rufsäule eilen und einen Anruf tätigen, um weiße Cops in einem Streifenwagen aus einem benachbarten Viertel vor Ort zu beordern. Denn Polizeiauto dürfen sie selbst keines fahren. Aber das ist noch lang nicht alles: Die Verhaftung von Weißen ist ihnen grundsätzlich nicht erlaubt, das Tragen von Uniform auf dem Weg zur Arbeit oder auf dem Nachhauseweg ist ebenfalls verboten.

Fataler Schusswechsel. Als Lucius Boggs und sein Kollege Tommy Smith zufällig von einem geplanten Schnapsschmuggel erfahren, sind ihnen prinzipiell durch die Vorschriften die Hände gebunden. Doch sie haben es satt, ohnmächtig zuzusehen. Bei der Übergabe des Schmuggelguts kommt es schließlich zu einer Schießerei, bei der ein Mann stirbt. Für die schwarzen Pioniere ist das brisant: Sollten entweder Boggs oder Smith die todbringende Kugel abgegeben haben, steht die Existenz der ganzen Truppe auf dem Spiel. Es könnte der von vielen erhoffte Fehler sein, um die unliebsamen schwarzen Gesetzeshüter wieder loszuwerden. Mit anderen Worten: Jede Amtshandlung wird zu einer fast unmöglichen Gratwanderung.

Diese Schilderung der tagtäglichen Marginalisierung, Aussichtslosigkeit, Hilflosigkeit und Ungerechtigkeit zählt zu den stärksten Momenten der beiden Bücher rund um die Atlanta-Polizisten. Manchmal wissen die ernüchterten ersten schwarzen Polizeibeamten der Stadt selbst nicht, warum sie sich all diese Mühen antun. Sah sich Boggs bei seinem Dienstantritt 1948 noch als „Hoffnungsträger“, fühlt er sich zwei Jahre später eher wie ein „Sargträger“.

Mullen hat akribisch recherchiert. Detailreich lässt er ein von Schwarz-Weiß-Denken geprägtes Atlanta wiederauferstehen. Egal ob es um die triste Wohnsituation oder das simple Miteinander – also eigentlich Nebeneinander – geht, überall begegnet den schwarzen Bürgern Ignoranz. Allerdings arbeitet der Autor auch die beträchtlichen Unterschiede innerhalb der schwarzen Gesellschaft gut heraus. Schwarz ist nicht schwarz.


Wie viel hat sich verändert? Die Ereignisse werden nicht nur aus der Perspektive der schwarzen Polizisten, sondern auch aus der Sicht des weißen Beamten Denny Rakestraw erzählt, dem vieles innerhalb des Polizeiapparats missfällt, der gleichzeitig aber auch die schwarzen Kollegen kritisch beäugt – allerdings deutlich weniger voreingenommen als die meisten seiner Kollegen.

Der Schreibstil des 45-jährigen Mullen ist nüchtern und konventionell, der Plot stets reich an Wendungen und spannend. Am Ende der Lektüre bleibt aber die Ernüchterung, dass sich gar nicht so viel verändert hat.

Neu Erschienen:

Thomas Mullen
Weißes Feuer

Übersetzt von
Berni Mayer
Dumont Verlag
480 Seiten
24,70 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.01.2020)

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