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Jedes Schrift'l ein Gift'l – auch in Sachen Brexit

Ursula von der Leyen.
Ursula von der Leyen.(c) REUTERS (VINCENT KESSLER)
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Die EU-Kommission hält ein Rechtsgutachten zum Brexit unter Verschluss – und gesteht damit dessen politische Brisanz ein.

Am 25. November beantragte „Die Presse“ den Zugang zu einem Dokument der Europäischen Kommission, das ziemlich unkontroversiell sein sollte. Wir wollten Einsicht in jenes Rechtsgutachten des juristischen Dienstes, das die Frage beantwortete, ob es bis zum Brexit am 31. Jänner auch einen britischen EU-Kommissar geben muss. Zwei Monate und drei überzogene Antwortfristen später kam vor ein paar Tagen die siebenseitige Ablehnung, unterzeichnet vom Generaldirektor des Rechtsdienstes, Luis Romero Requena.

Fünf Dokumente der Kommission gebe es, welche sich mit dieser Frage befassen. Doch die Öffentlichkeit darf auf unbestimmte Zeit keines davon lesen. Sie müssten „in ihrer Gesamtheit geschützt werden“, denn sie enthielten „rechtlichen Rat zu einem komplexen und hoch sensiblen Thema“. Die Frage, ob Ursula von der Leyens Kommission angesichts der Weigerung von Premier Boris Johnson, einen Kandidaten nach Brüssel zu entsenden, erst nach dem vollzogenen Brexit ihr Mandat antreten hätte können, ist in der Tat „komplex und hoch sensibel“. Von der Leyens Arbeitsbeginn musste bereits um einen Monat verschoben werden, weil einige ihrer Kommissarskandidaten im Europaparlament durchfielen. Ein weiterer Aufschub hätte dieser so sehr um ihr öffentliches Bild als rasante Macherin besorgten Politikern ziemlich widerstrebt.

Doch wieso ist der juristische Rat, den von der Leyen erhielt, geheimhaltungspflichtig? Denn jedes Mal, wenn die Vertreter der Kommission gefragt wurden, ob es einwandfrei sei, dass die EU bis 31. Jänner 28 Mitglieder, aber von 1. Dezember bis 31. Jänner nur 27 Kommissare habe, hieß es: „Kein Problem, laut unseren Juristen.“ Ziemlich spät, am 14. November erst, eröffnete die Kommission wegen der verweigerten britischen Nominierung sogar ein Vertragsverletzungsverfahren gegen London. Was damit nach dem Brexit passiert, ist unklar. Immerhin gab Requena in seiner Antwort an „Die Presse“ zu, dass es noch gar nicht begonnen hat, sondern im Vorverfahren steckt. Sprich: Es existiert nur auf dem Papier. Als Argument, den Bürgern den Zugang zu diesen Dokumenten zu verwehren, taugt es hingegen sehr wohl – Stichwort: laufendes Verfahren.

Wer meint, dies sei eine juristische Spitzfindigkeit, irrt. Eine unkorrekte Zusammensetzung der Kommission könnte jede ihrer von 1. Dezember bis zum Brexit gefällte wettbewerbsrechtliche Entscheidung anfechtbar machen. Das gibt Requena sogar zu: Die Veröffentlichung der Gutachten „würde die Position der Kommission in jedwedem künftigen Rechtsstreit schwächen, wo ein Argument vorgebracht würde, das auf der Unterlassung der Nominierung eines Kommissars durch das Vereinigte Königreich basiert.“ Zusatz: „Das ist keine hypothetische, sondern eine reale und konkrete Frage.“ Erstaunlich: Denn ließen die Kommissionssprecher fragende Journalisten nicht stets genervt wissen, diese Frage stelle sich nicht?

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