Auschwitz

Auschwitz-Jahrestag: Warnung vor Fälschung der Geschichte

++ HANDOUT ++ GEDENKFEIER ANL. 75. JAHRESTAG DER BEFREIUNG DES KZ AUSCHWITZ: BP VAN DER BELLEN
++ HANDOUT ++ GEDENKFEIER ANL. 75. JAHRESTAG DER BEFREIUNG DES KZ AUSCHWITZ: BP VAN DER BELLENAPA/BUNDESHEER/PETER LECHNER
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Bei der Gedenkfeier zum 75. Jahrestag der Befreiung des deutschen KZs mahnte der polnische Präsident, nicht „die Opfer zu schänden“.

Auschwitz. Der polnische Präsident, Andrzej Duda, hat den 75. Jahrestag der Befreiung des deutschen Vernichtungs- und Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau am Montag zum Anlass genommen, um sowohl das Andenken an die deutschen Gräueltaten einzumahnen als auch vor Verfälschung der Geschichte zu warnen. „Lasst uns zusammen die gemeinsame Verpflichtung eingehen, die Botschaft und die Warnung für die Menschheit, die von diesem Ort ausgehen, in die Zukunft zu tragen“, forderte er vor über 50 angereisten Regierungsdelegationen, darunter auch Israels Präsident, Reuven Rivlin, der deutsche Bundespräsident, Frank-Walter Steinmeier, und Bundespräsident Alexander Van der Bellen.

Wie jedes Jahr zum Gedenktag der Befreiung des auf dem Gebiet des besetzten Polens errichteten deutschen KZs durch die Rote Armee am 27. Jänner 1945 waren die Überlebenden im Zentrum der Gedenkfeiern. Gesenkten Hauptes schritten Duda und seine Ehefrau, Agata Kornhauser, die erste Reihe von noch rund 200 hochbetagten Auschwitz-Überlebenden ab und schüttelten Dutzende von Händen. Das staatliche Museum Auschwitz hatte über das Ziegelstein-Lagertor zum Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau ein riesiges weißes Zelt gestülpt, in dem die letzten Zeitzeugen sowie staatliche und geistliche Ehrengäste saßen.

„Allzu viele liefen mit, schauten weg“

Im Gegensatz zum Auschwitz-Gedenken von Mitte letzter Woche in Yad Vashem war Duda der einzige Staatschef, der als Gastgeber das Wort ergreifen konnte. Van der Bellen äußerte sich am Rande der Veranstaltung. Er empfinde „tiefes Entsetzen“ darüber, was im KZ Auschwitz den Menschen angetan wurde, sagte der Bundespräsident.

Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie seien auch Zehntausende Menschen aus Österreich gewesen. Gleichzeitig, so Van der Bellen, „empfinde ich Scham“. Viele Österreicherinnen und Österreicher hätten bei dem barbarischen Verbrechen als Täterinnen und Täter mitgewirkt. „Allzu viele Landsleute liefen mit, schauten weg, zu wenige leisteten Widerstand.“

Duda nutzte in seiner Rede die Gunst der Stunde zu einem wohlkalkulierten Seitenhieb auf Russland, mit dem Polen sich seit ein paar Monaten um die Rolle im Zweiten Weltkrieg streitet. Der am Montag in Auschwitz abwesende russische Staatschef, Wladimir Putin, hatte Polen Ende 2019 einer Mitschuld am Krieg der Nationalsozialisten und auch dem Holocaust zugeschrieben.

In Auschwitz warnte Duda am Ende seiner im Grunde ausgewogenen Rede – in der er im Gegensatz zu vielen Regierungspolitikern auch nicht versuchte, die Kriegsopfer unter den katholischen Polen gegen jene der Juden hochzurechnen – vor der Leugnung des Holocaust, Verfälschung der Geschichte des Zweiten Weltkriegs und einem instrumentellen Auschwitz-Gedenken. „Der instrumentelle Einsatz von Auschwitz für irgendwelche andere Ziele kommt einer Schändung der Opfer gleich“, mahnte Duda. Er erinnerte auch an jene Polen, die während des Krieges die Welt über die Nazi-Verbrechen an den Juden informierten und die Alliierten zu einer Bombardierung des KZ Auschwitz-Birkenau zu bringen versuchten.

Berührende Erinnerungen

Sehr berührend waren die Erinnerungen von vier Auschwitz-Überlebenden. Die hochbetagten Zeitzeugen kamen die Tränen, sie kämpften mit der Anspannung und den Erinnerungen. Die in Israel lebende polnische Jüdin Batsheva Dagan war als Teenager aus dem Ghetto Lodz nach Auschwitz deportiert worden, wo sie die Häftlingsnummer 45554 im Unterarm eintätowiert bekam. Sie schilderte, wie sie kahl geschoren wurde und welche Arbeiten sie im Vernichtungslager verrichten musste. Sie erinnere sich an die Schläge der deutschen Aufseherin und den Todesmarsch kurz vor der Befreiung durch die Rote Armee. Die spätere Kindergärtnerin erzählte auch, wie Rachegedanken ihr im Lager Kraft gaben und wie ihr eine Jüdin aus Belgien französisch beigebracht habe. „Etwas zu lernen, etwas zu machen, was ich wollte, half mir damals sehr.“

Der Vorsitzende des Jüdischen Weltkongresses, Ronald S. Lauder, beklagte die mangelnde Hilfe für jüdische Flüchtlinge im Zweiten Weltkrieg, machte explizit „Deutschland und Österreich gemeinsam“ verantwortlich und kritisierte die Unterstützung von UN-Resolutionen gegen das heutige Israel. Museumsdirektor Piotr Cywiński wagte am Ende einen Ausblick auf eine Zukunft ohne Zeitzeugen: Schlimmer als das Vergessen sei ein Erinnern ohne Konsequenzen, warnte der Pole. „Die 'Gerechten unter den Völkern' haben weder 'Likes' vergeben noch Protestsongs geschrieben oder Internet-Petitionen unterschrieben – sondern unter dramatischen Umständen Gutes getan.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.01.2020)

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