Die EU-Seite warnt vor überzogenen Erwartungen an den Handelsvertrag mit Großbritannien.
Brüssel. Während die britische Regierung den Druck auf rasche Verhandlung über einen Handelsvertrag mit dem Rest der EU erhöht, warnen EU-Vertreter vor überzogenen Erwartungen und einem immensen Zeitdruck. Deutschlands Europaminister, Michael Roth (SPD), betonte am Dienstag in Brüssel, es bliebe in der Übergangszeit nur „wenig Zeit“, um eine Einigung zu erzielen. In Anspielung auf die taktischen Manöver des britischen Premierministers, Boris Johnson, sagte Roth: „Allen muss klar sein, dass jetzt auch die Spielchen ein Ende haben müssen.“ Mit dem „Hin und Her“ in Großbritannien bei der Verhandlung des Austrittsabkommens sei schon in der Vergangenheit „viel Zeit vergeudet“ worden.
Die französische Europaministerin, Amélie de Montchalin, zeigte sich überzeugt, dass Großbritanniens Wünsche nach einem umfassenden Vertrag unrealistisch sind. „In elf Monaten ist ein vollkommen neues Handelssystem nicht vorstellbar“, sagte sie. „Wir werden versuchen, das zu machen, was realistisch ist.“
Der EU-Chefverhandler, Michel Barnier, sprach bereits am Montag von einer „riesigen Herausforderung“. Die Zeit für die Verhandlungen, die laut britischer Seite unbedingt vor Jahresende abgeschlossen werden sollen, sei „extrem kurz“. Barnier will bereits am kommenden Montag den 27 Mitgliedstaaten einen Mandatsentwurf für die bevorstehenden Gespräche vorlegen. Und er warnte neuerlich vor einem ungeordneten Austritt, sollte es in der Übergangszeit nicht zu einem Vertragsabschluss kommen.
Bis 31. Dezember bleibt Großbritannien im Binnenmarkt verankert. Es kann alle Waren zollfrei in andere EU-Staaten liefern, muss im Gegenzug aber die Regeln des Binnenmarkts umsetzen. Ohne neuen Vertrag erlischt die gegenseitige Anerkennung. Beide Seiten könnten Zölle und Handelsbeschränkungen einführen. (ag.)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2020)