Plattenkritik

Algiers: Diese Resignation klingt gut

„We all dance into the fire. La-la-la-la, la-la-la-la.“ Franklin James Fisher (rechts im Bild), Sänger der Algiers, beschwört ungemütliche Szenarien.
„We all dance into the fire. La-la-la-la, la-la-la-la.“ Franklin James Fisher (rechts im Bild), Sänger der Algiers, beschwört ungemütliche Szenarien.(c) Matador
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Ist das der Sound zeitgenössischer Dystopie? Oder wird hier nur der Nachlass von Joy Division und Gang Of Four verwaltet? Das Album „There Is No Year“ lässt das offen.

Das Intro klingt seltsam metallisch. Ein bisschen so, als ob eine Reinigungskraft gerade ein Synthesizermanual wischen würde. Unvermittelt setzt die markante Stimme des Sängers Franklin James Fisher ein. „Sharp from on high, unbroken gaze, she watched as all of the world redefined itself in flames.“ Ein ungemütliches Szenario. Kein Wunder, der Song heißt „Hour Of The Furnaces“, Stunde der Öfen. Der sich zur infernalischen Musik entspinnende Text ist radikal skeptisch, der Refrain allerdings ein bisserl albern: „We all dance into the fire. La-la-la-la, la-la-la-la.“ Noch dazu in einer klagenden Tonlage, als hätten sich sieben Schwanenhälse ineinander verknotet . . .

Die politische Lage und der Zustand der Welt setzten der amerikanisch-britischen Band Algiers immer schon zu. Auf ihrem dritten Album, „There Is No Year“, klingen sie apokalyptischer als je zuvor. Der Titel ist einer Erzählung des befreundeten US-Autors Blake Butler entlehnt. In ihr wird eine Familie von paranormalen Aktivitäten gepeinigt. Die Stimmung in der Erzählung changiert zwischen Horror und Humor. Mit Letzterem wollen die Algiers nichts zu tun haben. Ihre Songtexte entstammen einem beigelegten Essay des Sängers, der an sich recht unoriginell sein Leiden an dieser Welt beschreibt.

Durch die Cut-up-Methode, die einst auch David Bowie angewendet hat, entstanden Schnipsel, die interessante Assoziationen wecken. Gemeinsam mit einem krachig-tosenden Klangbild ergibt das die bislang beste Liedersammlung des Quartetts. Gospel-Punk sagen manche zu dieser Musik, andere sprechen von Industrial Soul. Beides passt. Ihre Ästhetik erinnert an die britische Band Bloc Party, bei der Schlagzeuger Matt Tong früher spielte. In „Repeating Night“ klingen Algiers sogar kühl und hintersinnig wie die legendären Joy Division. Mit herzerwärmender Kälte singt Fisher Zeilen wie „This is the reaping of the cold wind, this is the sowing of the whirlwind.“

In anderen Liedern werden Enteignung, Unterdrückung und Kolonialismus angesprochen. In „Chaka“ finden Dystopie und Funk, unorthodoxe Saxofonklänge und hatscherte Beats zueinander. Das spartanisch instrumentierte „Wait For The Sound“ beginnt mit unheimlichem Knistern, Zischeln und Krachen. „Streets are raining fire, we'll be gone now any day, oh baby.“ Endzeit, wieder einmal, diesfalls noch von allzu Menschlichem einer vergeblichen Liebe beschwert. Hier glückt, was nicht überall gelingt: eine schlüssige Kombination aus privatem Ächzen und politischem Aufstöhnen.

Vorschau auf den nächsten Crash?

Was Algiers von musikalischen Ahnen wie Gang Of Four abhebt, ist der Gesang: Fisher gospelt überzeugend zu paranoiden Beats und kaputten Keyboardsounds. Ideale erste Single war das klaviergetriebene „Dispossession“, in dem er flehentlich singt: „You can't run away, till you realize dispossession is coming for you.“ Klingt wie das Einschwören auf den nächsten Börsencrash.

Am Schluss steht „Void“, wütender Garagen-Punk, dessen Losung „Got to find a way“ ins Gehirn fährt wie ein glühendes Ofenscheit. Im Aufrütteln sind Algiers vorzüglich, beim Entwickeln einer Vision weniger. Dabei hat sich die Band bewusst nach der maghrebinischen Stadt Algier benannt, im Gedenken an den dortigen Kampf gegen den französischen Kolonialismus. Doch ihr Impetus, die Welt zu verändern, scheint nun von Resignation verschüttet. Wenigstens klingt sie dabei so gut wie nie zuvor.

Live: 22. Februar im Wiener Flex.

Algiers: There Is No Year
Algiers: There Is No Year(c) Matador

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2020)

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