Gastkommentar

Gibt es eine Lehrfreiheit ohne Verantwortung?

(c) Peter Kufner
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Zur Debatte um Lothar Höbelt. Politische Stellungnahmen von Universitätsprofessoren sind mehr als Privatsache, und der Nationalsozialismus kein beliebiges Geschichtsthema.

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„Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei.“ So steht es in der Bundesverfassung und unübersehbar in der Eingangshalle des Neuen Institutsgebäudes der Universität Wien. Deren historische Institute wiesen in einer gemeinsamen Stellungnahme denn auch auf die Lehr- und Lernfreiheit hin („Der Standard“, 22. 1. 2020), nachdem Demonstranten die Vorlesung des Historikers Lothar Höbelt zweimal gestört und einmal sogar verhindert hatten, weil sie ihm Rechtsextremismus vorwarfen.

Die Institutsleitungen kritisierten ferner, dass auch rechtsextreme Gruppen seine Vorlesung instrumentalisierten, dass sich der Vortragende davon nicht ausreichend distanziere und ihnen in seinen Medienauftritten sogar laufend Stichworte für ihre krausen Geschichtsauffassungen liefere. Zur Verteidigung der Grundrechte gehört nämlich, wie die Leitung des Instituts für Geschichte der Uni Wien jüngst noch einmal betonte, „die Verpflichtung, der schleichenden Normalisierung von rechtsextremem Gedankengut entgegenzutreten“ (ebenda, 26. 1.). Viktor Frankl, der Wiener Psychologe, der aus seiner KZ-Erfahrung heraus die Logotherapie entwickelte, schrieb einmal, der Freiheitsstatue auf dem Kapitol von Washington fehle noch ihr Gegenstück, nämlich eine Verantwortungsstatue. Darum geht es im Grunde auch in der Debatte um die Störungen und Instrumentalisierungen der erwähnten Vorlesung an der Universität Wien und um die Auftritte des Vortragenden in der breiteren Öffentlichkeit.

Privatsache? Schön wär's!

Keine Verantwortung ohne Freiheit; aber auch keine Freiheit ohne Verantwortung. Je größer die Freiheit, desto größer die Verantwortung. In Wissenschaft und Universität gilt das ebenso wie im sonstigen Leben, erst recht in der Politik.

Nun wurde etwa eingewandt, die Nähe eines Universitätsprofessors zu Parteien oder politischen Gruppen, seine Auftritte bei deren Veranstaltungen, seine Medienäußerungen seien dessen „Privatsache“ (Michael Pammer, „Presse“, 25. 1.). Wobei sich versteht, dass Privatsachen niemanden etwas angehen.

Schön wär's! Leider ist es nicht so einfach. Erstens setzt das voraus, dass der Universitätsangehörige nur als Privatperson auftritt, also ohne Professorentitel oder sonstige Zuordnung zu seiner Universität. Dies ist nicht stets der Fall und liegt auch nicht immer in der Kontrolle des Betreffenden. Selbst wenn er als reine Privatperson auftritt, sind seine Expertise und universitäre Stellung oft bekannt. Zumindest in Teilen der Öffentlichkeit verleihen sie seinen Aussagen dann ein Gewicht, das sie sonst nicht hätten. Die zusätzliche Verantwortung, die er damit übernimmt, mag man verschieden einschätzen. Leugnen sollte man sie aber nicht. Erst recht könnte das übrigens nicht der Schreiber dieser Zeilen, ein Universitäts- und Institutskollege des umstrittenen Historikers, der sich hier nur zu Wort meldet, weil die Debatte über den Anlassfall und die betroffene Universität hinaus von Interesse ist.

Es ist wohl auch zu einfach zu meinen (wie in demselben „Presse“-Gastkommentar), ein Teil der Aufregung komme daher, dass hier ein Historiker „in der Öffentlichkeit über den Nationalsozialismus spricht wie über andere historische Themen“. Eine „konsequente Historisierung“ des Nationalsozialismus reize in der Wissenschaft nur mehr die Nachhut einer „moralisierenden“ Zeitgeschichtsforschung, die sich schon weitgehend überlebt habe, und sei nun auch für die Öffentlichkeit „richtig“. Diese brauche nämlich „keine moralische Handreichung“, sondern nur den „Stand der Forschung“. Wer bestimmt, was die Öffentlichkeit „braucht“? Und was sagt der Forschungsstand?

Nehmen wir das Beispiel „Kriegsschuld“ 1939 und Lothar Höbelts These vom „normalen Recht jedes Staates, Krieg zu führen“ („Der Standard“, 22. 1.). Kriege waren seit der Gründung des Völkerbunds völkerrechtlich untersagt, es sei denn bei unmittelbarer Selbstverteidigung oder bei Zustimmung des Völkerbunds. Dass Hitlerdeutschland aus dem Völkerbund ausgetreten und der Völkerbund noch aus weiteren Gründen hilflos geworden war, änderte nichts am Wandel der internationalen Normen, der schon im 19. Jahrhundert begonnen hatte.

Er stellte den Krieg als legitimes politisches Mittel viel radikaler infrage als die traditionellen Lehren vom „gerechten Krieg“ und führte nicht nur zu den ersten Friedensbewegungen, sondern schließlich auch zur Völkerbundgründung und Kriegsächtung. Auf ein „normales Recht jedes Staates, Krieg zu führen“, konnte Hitler sich beim Angriff auf Polen längst nicht mehr berufen – und inszenierte ihn ja auch entsprechend anders.

Bei den Gründen für den Zweiten Weltkrieg geht es auch nicht nur um die Frage, warum die Führung des Großdeutschen Reichs beim Angriff auf Polen das Risiko eines britischen Eingreifens unterschätzte, also so ungeschickt war, im falschen Moment anzugreifen (so Höbelt). Von grundlegendem Interesse ist vielmehr, warum Hitler überhaupt Krieg wollte (nicht nur mit Polen), warum ihm dabei so viele folgten und warum der Krieg ein Vernichtungskrieg war – kurz, welche politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Voraussetzungen den Ausschlag dafür gaben, dass ein hochzivilisierter Staat nicht nur das eigene Land, sondern schließlich auch weite Teile Europas mit verschiedenen Formen von Massengewalt überzog, die davor kaum jemand für möglich gehalten hatte und die noch heute fast jede Vorstellungskraft sprengt.

Konsequent historisieren heißt also, auch nach den jeweils bestehenden historischen Normen, Rechts- und – ja! – auch Moralvorstellungen zu fragen. Denn politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Interessen sind zu einem beträchtlichen Maß eine Auffassungs- und Einstellungsfrage, also kulturell bedingt. Erst recht gilt das für die Art und Weise, Interessenkonflikte auszutragen und Verantwortungen einzuschätzen, anderen zuzuschreiben oder selbst zu übernehmen. Blendet man dies nicht aus, lässt sich bei der Kriegspolitik des Nationalsozialismus nicht mehr so leicht von „Normalität“ sprechen, ebenso wenig wie bei anderen seiner Kernmerkmale.

Eben kein beliebiges Thema

Deshalb ist er auch kein „beliebiges historisches Thema“, das wie die Josephinischen Reformen einmal „niemanden mehr aus der Ruhe bringt“. Vielmehr stellt sich die Frage, wer das aus welchen Gründen wünscht. Wissenschaftliche Gründe reichen dazu, wie angedeutet, nicht aus. Politische, hier auch geschichtspolitische, Gründe sind keine Unterstellung, sondern liegen auf der Hand.

Hinter dem Vorwurf des Moralismus steckt keine berechtigte Warnung vor historisch unzeitgemäßen Maßstäben, sondern ein Moralismus unter anderen Vorzeichen: die Weigerung, zur Kenntnis zu nehmen, dass gewisse ethische Standards, darunter weitreichende Begriffe von Verantwortung, nicht erst Erfindungen der Alliierten nach 1945 sind.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Der Autor

Ass. Prof. Dr. Thomas Angerer (* 1965) lehrt am Institut für Geschichte der Universität Wien und wirkt dort auch in der Forschungsgruppe Geschichte der Menschenrechte und der Demokratie mit. Er forscht v. a. zu neuerer französischer und europäischer Politikgeschichte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.01.2020)

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