Hans Winklers Unterstellungen verschleiern den Kern des Schulkonflikts.
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Die Fakten liegen auf dem Tisch, konstatiert Hans Winkler in der „Presse“ vom 27. Jänner. Niemand wird widersprechen, dass der Schulbefund von Susanne Wiesinger, der Ex-Ombudsfrau für Wertefragen und Kulturkonflikte, zum Handeln verpflichtet – auch niemand in der Kirche, die angeblich in „Geiselhaft des Islam“ ist. Diese Unterstellung verschleiert den Kern des Konflikts: wie und in welcher Haltung die Probleme zu lösen sind. Autoritär über (Frauen-)Köpfe hinweg oder mit Gespräch und Konflikt; im Habitus selbstgerecht urteilender Höherwertigkeit oder auf Augenhöhe; im Interesse am Zusammenleben oder im Horizont von Sieg und Niederlage.
Auch Fakten sind interpretationsbedürftig. So begründet Frau Wiesinger die Probleme in vielen Brennpunktschulen mit „dem Islam“. Aber wie viele sieht sie nur, was die eigene Weltsicht bestätigt, und hat keine Fragen. Solche Fragen möchte ich stellen, denn man muss die Fakten ernst nehmen. Man muss diese aber nicht wie sie beurteilen.
Wie sieht eine gute Schule aus?
Aber auf welcher weltanschaulichen und ethischen Grundlage urteilt Wiesinger eigentlich? Sie selbst hält sich für „ideologiefrei“ und „praxisbezogen“. Seit Aristoteles wissen wir freilich, dass jeder Praxis eine, oft implizite, Theorie innewohnt. Es gibt kein ideologiefreies Handeln. Ihre Ideologie lautet „Kulturkampf“. Aber könnten die Konflikte nicht auch Zeichen der Integration und daher notwendig sein? Anders gefragt: Wie stellt sich Frau Wiesinger eine gute Schule vor? Monokulturell? Konfliktfrei? Wie viele und welche Probleme, Konflikte, Störungen erlaubt sie der Schule?
Wenn an allem „der“ Islam schuld ist: Wieso gibt es dann junge, hochgebildete und feministische Musliminnen mit Kopftuch, die Projekte gegen Antisemitismus durchführen? Deren Existenz macht es nötig, die These von der Alleinursache Islam zu hinterfragen. Zugleich müssen auch Muslime bereit sein, patriarchale, fundamentalistische und Gewalt zulassende Auslegungen des Islam zu bekämpfen.
Frau Wiesinger nennt die soziale Durchmischung als weitere Ursache: Wo eine solche gegeben ist, gebe es weniger Probleme. Das aber wirft die Frage nach der sozialen Segregation auf. Zum Gesamtbild der Schulen in Österreich gehören auch jene Schulen, in denen die Nichtmuslime unter sich bleiben und so nichts zur Integration beitragen können (wollen?). Welche ökonomischen, welche politischen Strukturen begünstigen eine solche Wirklichkeit? Selbst eine linke Gewerkschafterin scheut diese Frage. Kommt die Rede auf Eigentumsverhältnisse und Verteilungsgerechtigkeit, sieht Wiesinger sogleich das Gespenst des Kommunismus auferstehen.
Selbstkritik der Lehrer fehlt
Ist auch die Darstellung der Lehrer ein Faktum? Das möchte und werde ich nicht glauben. Denn dann hätten unsere Kinder und Jugendlichen, die in der Schule Demokratie lernen sollen, arme, hilflose, unterdrückte Untertanen eines bösen Ministeriums zum Vorbild, die sich nur hinter vorgehaltener Hand – wie in einer Diktatur – ihre wahre Meinung sagen trauen.
Wie kann es zudem sein, dass an den Zuständen die Parteien, die Beamten, die Eltern, die Muslime schuld sind – aber niemals die Lehrer? Wiesingers Darstellung fehlt auch jegliche erkennbare Selbstreflexion beziehungsweise -kritik ihres Berufsstandes.
Deshalb sind Analyse und Gewichtung der Fakten wichtig. Wer darüber wie Hans Winkler in seinem „Presse“-Text spottet, trägt wenig zur Lösung bei, sondern verschärft soziale Konflikte.
Assoz.-Prof. Dr. Regina Polak, MAS ist Leiterin des Instituts für Praktische Theologie der Kath.-Theol. Fakultät der Universität Wien.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.01.2020)