Palästinenser-Führer Abbas nennt den Friedensplan eine „Verschwörung“. In Israel sehen Hardliner grünes Licht für sofortige Annexion der jüdischen Siedlungen.
Wien/Jerusalem. Seit dem Tod Jassir Arafats vor 15 Jahren führt Mahmud Abbas die palästinensische Autonomiebehörde, und seither hat sie kontinuierlich an Einfluss verloren. Politisch und gesundheitlich angeschlagen, hat der 84-Jährige am Dienstagabend zum Zeitpunkt der Präsentation des Nahost-Friedensplans in Washington die palästinensischen Fraktionen, unter anderem die radikalislamische Hamas, in seinen Amtssitz gebeten. Von der Mukataa in Ramallah sollte ein Zeichen der Geschlossenheit der zersplitterten Palästinenser-Führung ausgehen.
„Jerusalem steht nicht zum Verkauf“, betonte Abbas in seiner Fernsehansprache und bekräftigte den Anspruch auf Jerusalem als Hauptstadt eines Palästinenserstaats. Eine Hauptstadt in Abu Dis, am Rande Ostjerusalems außerhalb des israelischen Schutzwalls, lehnen die Palästinenser ab. Auch ein Gebietstausch des Jordantals gegen zwei Flecken der Negev-Wüste kommt für sie nicht infrage.
„Mistkübel der Geschichte“
Abbas hatte sich scharfe Worte zurechtgelegt, eingeflüstert von seinem Berater und Ex-Chefunterhändler Saeb Erekat. „Wir werden den Deal in den Mistkübel der Geschichte werfen.“ Der Palästinenser-Präsident sprach von einer „Verschwörung“ zwischen Donald Trump und Benjamin Netanjahu, die ihn ausmanövriert und ein ums andere Mal brüskiert haben – von der Anerkennung Jerusalems als „ungeteilte“ Hauptstadt Israels, dem Stopp der US-Finanzhilfe, der Schließung der Botschaft in Washington bis zur Anerkennung der jüdischen Siedlungen im Westjordanland und dem Jordantal.
„Ein Angriff gegen das palästinensische Volk“, „Micky-Maus-Staat“, „Apartheid-Staat“: So entrüstet reagierten auch andere prominente Palästinenser wie die Politikerin Hanan Ashrawi oder Diplomaten wie der Botschafter in Großbritannien. Trotz aller Empörung kündigten die Palästinenser die Sicherheitskooperation mit Israel nicht auf. Auch der „Tag des Zorns“, die angekündigten Proteste im Gazastreifen und im Westjordanland, blieb zunächst verhältnismäßig ruhig.
Dies könnte sich am Sonntag ändern, falls die israelische Regierung in ihrer wöchentlichen Kabinettssitzung die Annexion der jüdischen Siedlungen in „Judäa und Samaria“, wie Premier Benjamin Netanjahu unter Berufung auf die Bibel das Westjordanland bezeichnete, vollziehen sollte. Naftali Bennet, der israelische Verteidigungsminister, und US-Botschafter David Friedman sahen jedenfalls grünes Licht für eine umgehende Einverleibung. Bennet, ein Aktivist der Siedlerbewegung, stellte indirekt die Frage: Warum warten bis zur Knesset-Wahl am 2. März?
Für Netanjahu war der Washington-Trip ein Triumph auf allen Linien. Bei der Rückkehr von seinem Zwischenstopp bei Wladimir Putin in Moskau erwarten ihn die Niederungen des Wahlkampfs.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.01.2020)