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Von der Schande in die Sichtbarkeit

Hilfe. Frauen in Indien sind oft gefährdet. Initiativen wie Sheroe’s Hang­­out in Agra steuern dagegen: Opfer von Säure­attentaten arbeiten im Café. sheroeshangout.com
Hilfe. Frauen in Indien sind oft gefährdet. Initiativen wie Sheroe’s Hang­­out in Agra steuern dagegen: Opfer von Säure­attentaten arbeiten im Café. sheroeshangout.com(c) Getty Images (ferrantraite)
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In Agra, Indien, betreiben Verätzungsopfer ein Café – über das immense Risiko, Frau zu sein.

Abgesehen von ihrer niedrigeren Lebenserwartung genießen die als Männer geborenen Vertreter unserer Spezies bessere gesellschaftliche Chancen. Auch zum Mörder entwickeln sie sich besser, immerhin begehen sie weltweit 95 Prozent der Morde. Doch nur
78 Prozent der Opfer sind Männer.

Ein Gutteil der Frauen- und Kindermorde geht aufs Konto aktueller und ehemaliger Partner sowie Stalker. Auch seriöse Medien sprechen oft von „Familiendramen". Eine pure Verharmlosung, denn Femizide treffen Personen aller Altersstufen. Diese Tötungsdelikte sind die Extremformen geschlechtsspezifischer Gewalt, die unter anderem als sexuelle Belästigung, Vergewaltigung, Kindesmissbrauch, Genitalverstümmelung oder erzwungene Heterosexualität auftritt. Zudem sorgt die Ultraschalltechnik dafür, dass via selektiver Abtreibung deutlich mehr Buben als Mädchen ­geboren werden – speziell in China und Indien. Weltweit gibt es heute einen ­siebenprozentigen Überschuss männlicher Babys.

Auch Säureattentate auf Frauen gehören zu männertypischen Gewalttaten. In Indien erfreut sich dieses Verstümmelungsgenre erheblicher Beliebtheit. Die populäre Laxmi Agarwal, mit ihrem verätzten Gesicht (das Werk eines abgewiesenen Stalkers, als sie 16 war) Mitarbeiterin von Stop Acid Attacks, heute unter anderem als Model tätig, kämpft gegen den freien Verkauf von Säure.

Ihre NGO betreibt in Agra, unweit vom Taj Mahal, das Café Sheroe’s Hangout, in dem fünf der circa 500 offiziell regis­trierten Überlebenden indischer Säureattacken arbeiten. Der Schritt von der Schande in die Sichtbarkeit gab diesen Frauen ein Stück Lebenskontrolle zurück. Sheroe’s Hangout ist unter internationalen Besuchern populär, und auch immer mehr Einheimische bewundern diesen Mut, schätzen Service und Küche. Das Thema landete in Bollywood. Der Spielfilm „Chhapaak" („Splash", 2020) formt Laxmi Agarwals Schicksal nach. Die rechtsextreme Hindupartei von ­Premier Narendra Modi, deren Jugendorganisation am 5. Jänner auf dem Nehru-Universitätscampus Schläger- und Säureattacken auf Studierende durchführte (39 Verletzte), rief indes zum ­Boykott des Films auf.

www.amanshauser.at

("Die Presse - Schaufenster", Print-Ausgabe, 31.01.2020)

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