Städtetrip

Lokaltour durch Prag: Zurück in die Zukunft

(c) Vit Madr/Czech Tourism
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Tschechien: Die Küche der Donaumonarchie ist immer im Hintergrund, nur manches kommt leichter daher. Eine gute Unterlage wird's bei einer Erkundung von Bezirken wie Karlín (Prag 8) brauchen.

Prag jenseits von Touristenstau und Knödelinszenierung: Martin Blum ist Prager aus Leidenschaft, außerdem Fleischhauer und Gastro-Guide – und nimmt uns mit auf eine kurze kulinarische Expedition in den Außenbezirk Karlín, „das Brooklyn von Prag“, wie Martin es nennt. Hier, zwischen Start-up-Unternehmen und Fabrikruinen, verwirklichen sich junge Menschen, die mit frischen Ideen der im Kommunismus arg gebeutelten Traditionsgastronomie auf die Sprünge helfen. Das Ergebnis ist eine Art Habsburger Küche 2.0. Wie in der guten alten Zeit, mit leichteren und vor allem regionalen Zutaten.

Vorstadtbeisl reloaded: Das Lokál Hamburk wurde von einem alten, heruntergekommenen Vorstadtlokal zu einem gut und (künstlich) in Ehren abgeranzten Vorstadtlokal aufgemöbelt – mit schweren Eichentischen, 1950er-Jahre-Tapeten. Das Pilsner Urquell kommt per Tank geradewegs aus der Brauerei. Acht bis neun Halbe am Abend sind so klassischer Durchschnitt pro Gast, angeblich. Im Lokál Hamburk gehen an feuchten Tagen gern einmal 3000 Glas über den Tresen. Was auch daran liegt, dass Nachschub automatisch kommt. Das heißt, man bestellt kein Bier, sondern bestellt es ab, wenn man genug hat. Am einfachsten, indem man den Bierdeckel auf das Glas legt. Wer unbedingt kein Bier will: Hier sprudelt auch die wiederbelebte tschechisch-sozialistische Kultbrause Kofola. Sonst stehen die Best of Basics der tschechischen Küche auf der Kreidetafel: Prager Schinken, in der Fleischhauerei um die Ecke gepökelt, gekocht und geräuchert. Serviert mit Oberskren. Nakládaný hermelín, ein in Essig und Öl mit Chili und Gewürzen eingelegter Camembert erzeugt einen gewissen Suchtfaktor. Hausgeräucherte Frankfurter und Debrecziner Würstl, eingelegte Karpfen? Das Lokál Hamburk hat übrigens fünf weitere Schwesterlokale. Sokolovská 55 Prag 8, www.lokal-hamburk.ambi.cz

(c) David Marvan/Czech Tourism

► Kindheitserinnerung: Es geht nur ein paar Straßen weiter in die Werkshalle der alten Boilerfabrik. Im Eska duftet es nach frischem Brot, in hohen Regalen türmen sich riesige Gläser mit eingelegtem Gemüse. In der offenen Küche wird gebacken, gekocht, Salat gemischt. Kann der Gast alles von der Empore verfolgen, während er auf ausrangierten Schulstühlen sitzend  feines Kümmelbrot probiert, dann eine Verbrannte Kartoffel. Dahinter verbirgt sich, nun ja, eine verbrannte Kartoffel; sie wird in der Schale mit Heu umwickelt, dann angezündet. Das romantische Pfadfinder-Essen schmeckt, serviert mit einer geheimnisvollen Sauce aus flüssigem Teig, geräuchertem Fisch, Bier und brauner Butter wie früher. Im Eska wird nur mit regionalen Zutaten gearbeitet. Auch für das Gin Tonic, das ist was für Erwachsene. Pernerova 49, Prag 8, www.eska.ambi.cz

Containerweise: Solide Grundlage, bevor es auf die Piste geht: Martin führt uns noch schnell zu den möglicherweise besten Pommes der Welt: Auf den Manifesto Market, eine Pop-up-Gourmetmeile aus einem Dutzend schwarzer Container. Bald soll auf diesem Areal die Erweiterung des Hauptbahnhofs gebaut werden. Viele Prager hoffen, dass sich das noch möglichst lang hinauszögert. Denn bis dahin gibt es hier frische Tandoori, Pizza, Hummus, Shakshuka, Bratwurst – und die besten Pommes. Die hier sind extra dick, mit Schale frittiert, dazu eine sensationelle Trüffelsauce. Die „New York Times“ nennt den Manifesto Market „eine provokante, kühne Kombination“. Man sitzt auf langen Bänken zwischen den Container-Buden, der DJ macht Lounge-Musik. Hier ist übrigens Prags erste bargeldfreie Zone. Na Florenci, Prag 2, www.manifestomarket.com

Noch ein paar Gastrotipps: Naše maso bedeutet so viel wie „unser Fleisch“. In der Fleischerei wird (fast) alles vor den Augen der Kunden zerteilt und zubereitet. Hier werden ausschließlich Rinder und Schweine aus regionaler Freilandhaltung verarbeitet, etwa zu Prager Schinken, knackigen Klobassen oder deftigem Leberkäse. Dlouhá 39, Prag 1, www.nasemaso.cz

Cukrář Skála ist eine traditionelle Bäckerei im modernen Gewand. Legendär sind der Větrník (eine Art Mega-Windbeutel) und die auf der Zunge wegschmelzenden Laskonky (böhmische Version der Macarons). Dlouhá 727/39, Prag 1, www.cukrarskala.cz

The Eatery: chic, aber sehr bezahlbar. Hier werden Traditionsgerichte neu verfeinert. Den Klassiker Lammhals gibt's hier mit gegrilltem Weißkohl und Püree aus eingelegtem Karfiol, dazu hausgebrautes Craftbier. U Uranie 18, Prag 7, www.theeatery.cz

SICH DURCH PRAG KOSTEN

Hin: Mit der ÖBB ab Wien ohne Umsteigen in gut vier Stunden, www.oebb.at

Dort: Metro, Tram, Busse fahren häufig und relativ zuverlässig. Tipp: günstiges 24-Stunden-Ticket lösen, www.pid.cz

Schlafen: Mama Shelter Prague, stylisches Hotel, witzige Design-Ideen in Holešovice, www.mamashelter.com

Kulinarische Führungen durch Trendbezirke: www.tasteofprague.com

Infos:www.prague.eu, www.czechtourism.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.02.2020)

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