Afghanistan-Mission hängt an seidenem Faden

AfghanistanMission haengt seidenem Faden
AfghanistanMission haengt seidenem Faden(c) AP (Gerald Herbert)
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Die Entscheidung über eine Ablöse des Afghanistan-Kommandeurs Stanley McChrystal kommt zu einem kritischen Zeitpunkt. Die Skepsis über die Mission der US-Truppen wächst, die Erfolge sind bisher mäßig.

Washington D. C. In der Haut von Stanley McChrystal wollte am Mittwoch niemand stecken. Präsident Barack Obama hatte den Kommandeur der US-Truppen in Afghanistan zum Rapport nach Washington bestellt, und der General reiste mit einer Rücktrittserklärung im Handgepäck aus Kabul zur Kopfwäsche an. Wie John McCain forderten zahlreiche Politiker über die Parteigrenzen hinweg die Demissionierung McChrystals wegen Insubordination. Doch nicht nur das Schicksal des Karrieresoldaten hing an einem seidenen Faden, sondern auch die Afghanistan-Strategie der Regierung, die untrennbar mit dessen Namen verbunden ist.

Für den geradlinigen, für seine asketische Disziplin bekannten Offizier musste es einer Demütigung gleichkommen, dass ihm von Oberbefehlshaber Obama und Verteidigungsminister Robert Gates abwärts die Vorgesetzten die Leviten lasen. Im abhörsicheren „Situation Room“ im Keller des Weißen Hauses sollte es bei einer Strategiesitzung des Nationalen Sicherheitsrats über den Afghanistan-Krieg zum Showdown zwischen dem General und den Mitgliedern des Obama-Küchenkabinetts kommen.

Beißender Spott im „Rolling Stone“

Ein Teil jener führenden Köpfe war anwesend, über die McChrystal und sein Stab, das selbst ernannte „Team America“, in einem Artikel des Magazins „Rolling Stone“ ihren Spott getrieben hatten. Den Namen von Vizepräsident Joe Biden hatten sie zu „Bite Me“ – „Leck mich“ verballhornt. Mit Ausnahme von Gates und Außenministerin Hillary Clinton hatten alle ihr Fett abbekommen. Sicherheitsberater James Jones gilt ihnen als „Clown“, Sonderbotschafter Richard Holbrooke als aufgeblasener Diplomat, von US-Botschafter Karl Eikenberry fühlen sie sich betrogen und von Obama bitter enttäuscht.

Während der Flugsperre über Europa saß Reporter Michael Hastings tagelang mit den McChrystal-Leuten in Paris und Berlin fest und erhielt so exklusiven Zugang zu den Topmilitärs des Afghanistan-Kriegs – inklusive Trinkgelages. Dabei fing er einen zynischen Ton ein, der auch in Washington hinter den Kulissen zum Umgangston gehört.

Die Häme spiegelt eine Kluft zwischen der zivilen Führung und dem Militär an der Front, die nicht untypisch ist für Kriegszeiten. Präsident Harry Truman feuerte General Douglas MacArthur 1951 während des Korea-Kriegs, weil der für einen Angriff auf China und den Einsatz der Atombombe plädiert hatte. Die Entlassung des Weltkriegshelden hatte einen Knalleffekt, der Präsident fürchtete um seine Autorität.

Geteilte Meinung

Stanley McChrystal, der aus einer Offiziersfamilie stammt und sich als Führer von Spezialkommandos auf der Jagd nach der al-Qaida einen Namen gemacht hat, trieb die US-Regierung schon kurz nach seiner Einsetzung als Afghanistan-Kommandeur mit seinen Forderungen nach einer Truppenverstärkung vor sich her und brüskierte Kritiker wie Biden öffentlich. Obama zitierte ihn damals zu einem Vieraugengepräch nach Kopenhagen, das auf dem Flughafen in der Air Force One, der Präsidentenmaschine, stattfand. Nach dreimonatigen Beratungen setzte sich der Kriegsplan McChrystals durch.

In Washingtoner Expertenkreisen und den Thinktanks ist die Meinung über McChrystal geteilt. Michael O'Hanlon von der Brookings Institution hält einen Rücktritt für einen schweren Rückschlag für die Afghanistan-Mission. Steve Clemons von der New America Foundation sieht darin die Chance für eine Neupositionierung der Kriegsstrategie. Afghanistans Präsident Hamid Karzai hat sich unterdessen dezidiert für einen Verbleib des Generals ausgesprochen. Die Entscheidung über McChrystal fiel zu einem kritischen Zeitpunkt. Der Afghanistan-Einsatz steht unter keinem günstigen Stern. Mehr als 1000 US-Soldaten sind im bisher längsten Krieg der US-Geschichte gefallen, die Militärführung hat die Offensive in Kandahar hinausgeschoben.

„Es gibt keine Gewinner“ hat McChrystal neulich eingestanden. Die US-Militärs sträuben sich gegen einen Abzugsplan im Juli 2011, im Kongress wächst die Skepsis. Als General David Petraeus bei einem Senatshearing jüngst kollabierte, schien dies wie ein sinnfälliges Bild des Status quo.

AUF EINEN BLICK

Stanley McChrystal, der 55-jährige Kommandeur der Afghanistan-Truppe, entstammt einer Offiziersfamilie. Sein Vater, ein Zwei-Sterne-General, kämpfte im Zweiten Weltkrieg und in Vietnam. Auch Stanleys vier Brüder schlossen sich der US-Armee an.

Nach Absolvierung der Militärakademie in West Point ging McChrystal nach Harvard und ans Council on Foreign Relations, einen elitären Thinktank. Als Chef von Spezialkommandos und an der Seite von General David Petraeus bei der Bekämpfung des Aufstands im Irak-Krieg machte er später Karriere. Der passionierte Jogger rühmt sich, nur eine Mahlzeit am Tag einzunehmen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24. Juni 2010)

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