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Corona-Epidemie

Zwischen Anfeindung und Quarantäne: So kämpfen Austrochinesen mit dem Virus

Chinesen in Wien wollen möglichst wenig Aufmerksamkeit angesichts des Coronavirus erzeugen.(c) imago stock&people (imago stock&people)
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Die Corona-Epidemie sorgt auch in Österreich für antichinesische Gefühle: In Wien wurde eine Chinesin im Supermarkt attackiert. Die Community will Panik vermeiden und geht in selbst auferlegte Quarantäne.

Was ist der richtige Weg im Umgang mit dem Coronavirus? Während die Weltgesundheitsorganisation wegen der Mensch-zu-Mensch-Übertragung im Ausland Alarm schlägt, Dutzende Fluglinien ihre Verbindungen in die Volksrepublik kappen, mehrere Staaten Chinesen die Einreise erschweren oder verbieten und Unternehmen ihre Büros im Land schließen, löst die rasante Ausbreitung der Lungenkrankheit rund um die Welt eine Welle der Panik und in manchen Fällen Ressentiments gegenüber Chinesen aus. Auch in Österreich.

Ein Extremfall soll sich vergangenen Dienstag im 9. Wiener Gemeindebezirk ereignet haben, sagt Zhu Maozou, Vizepräsident chinesischer Gastronomen in Österreich, der „Presse am Sonntag“. Seine Bekannte, eine Zahnarztgehilfin, sei in einem Supermarkt mit einem Sack Orangen attackiert worden. Der Vorwurf: Als Chinesin schleppe sie den Coronavirus in Österreich ein. Noch immer seien die blauen Flecken am Kopf sichtbar, erzählt Zhu. Die Bekannte habe Anzeige bei der Polizei erstattet.

„Essen alle Chinesen Fledermäuse? Hast du heute Fledermäuse gegessen?“ Diese Frage habe ein Schulkollege ihrer 16-jährigen Tochter gestellt, schildert eine Mitarbeiterin der in Wien ansässigen, chinesischen Zeitung „Europe Weekly“. Der Mitschüler spielte auf den möglichen Ursprung der Lungenkrankheit an: Sie könnte sich in Wuhan von einer Fledermaus auf den Menschen übertragen haben. „Weicheng“, der Kanal von „Europe Weekly“ auf der chinesischen Social-Media-Plattform Wechat, berichtet von einem weiteren Fall: In Innsbruck sei ein Chinese in einem Bus von einem Kind mit dem Wort „Coronavirus!“ angeschrien worden.

Und auch Geschichten wie diese verbreiten sich in der chinesischen Community: Als eine ihrer Schülerinnen in eine Wiener U-Bahn stieg, hielten anderen Passagiere zuerst großen Abstand, erzählt Ke Gao-Böhm, Leiterin des Deutschzentrums für Chinesen der „Presse am Sonntag“. Dann habe eine Frau ein Tuch vor den Mund gehalten, „als hätte meine Schülerin die Pest“. „Wir scherzen jetzt, dass wir uns ein Schild umhängen sollten: ,Wir sind gesund, wir haben keinen Virus.‘“

Die chinesische Botschaft in Wien warnt gegenüber der „Presse am Sonntag“ vor Angstmache: „Es gibt keinen Grund zur Panik. Man soll das Virus ernst nehmen, aber Chinesen sind nicht mit dem Virus gleichzusetzen.“ Doch viele Austrochinesen sorgen sich vor weiterer Beunruhigung in ihrer Wahlheimat. „Um nicht weiter Öl ins Feuer zu gießen und unnötige Panik zu vermeiden“, erstellte die Online-Zeitung „Weicheng“ Empfehlungen. Unter anderem: Händewaschen und keine Gesichtsmasken in der Öffentlichkeit tragen. Veranstalter einiger chinesischer Neujahrsfeierlichkeiten in Österreich reagierten: Sie sagten die Veranstaltungen ab. Weniger aus Angst vor dem Virus als aus Sorge, mehr Unruhe zu schüren, heißt es aus der Botschaft.

Auch das inoffizielle China in Österreich ist vorsichtig. Die Präsidenten heimischer China-Vereine und Reisebüros riefen Chinesen, die aus der Volksrepublik zurückkehren, dazu auf, 14 Tage das Haus nicht zu verlassen. Die Inkubationszeit des Coronavirus beträgt vier bis 14 Tage, in dieser Zeit (und rund eine Woche danach) ist eine Ansteckung möglich. Xie Feiru, Vorsitzende des Vereins chinesischer Frauen, erzählt, dass Bekannte und Freunde für Rückkehrer, die in Quarantäne gehen, eine Art Essensservice organisieren. Sie lassen Mahlzeiten vor der Tür der Betroffenen abstellen.

„Menschengemachte Krise“. Aus Sorge vor der Ausbreitung der Krankheit ließen viele führende Austrochinesen sogar den Neujahrsempfang des Wiener Bürgermeisters Michael Ludwig im Rathaus aus, sagt Gastronomie-Vize Zhu. Er fürchtet um die Folgen für chinesische Restaurants: Was, wenn Lokal-Besitzer einen Infizierten arbeiten ließen, der noch keine Symptome zeige? „Es wäre ein Schaden für die ganze Branche.“ In den China-Lokalen am Wiener Naschmarkt sei schon jetzt ein deutlicher Umsatzrückgang spürbar.

„Ich habe definitiv Angst vor dem Virus“, sagt die 30-jährige Lin, die bei einer chinesischen Firma in Wien arbeitet, der „Presse am Sonntag“. „Ich habe mir Schutzmasken gekauft und weiß das auch von anderen.“ Noch bevor Flugverbindungen gestrichen wurden, stornierte sie ihre Tickets in die Heimat. Mit dem ersehnten Familienbesuch wird es vorerst nichts. Ihre Mutter, die in der Hafenstadt Qingdao lebt, erzähle von leer gefegten Straßen und steigenden Lebensmittelpreisen. Die Solidarität der chinesischen Gemeinschaft in Österreich mit den Landsleuten ist groß: Derzeit laufen mehrere Spendenaktionen.

Lin schildert die Empörung, die sie seit dem Ausbruch empfindet: „Jeden Tag lese ich, wie schwierig die Situation ist, wie hart Ärzte arbeiten, aber keine Masken haben, und dass die Wuhaner keine Hilfe erhalten.“ Auf die Regierung könne man sich nicht verlassen, sagt sie. „Das ist keine Naturkatastrophe, die Krise ist menschengemacht.“


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