Nachruf

Andy Gill: Der Erfinder des Anti-Gitarrensolos ist tot

Jon King und Andy Gill (re.) von Gang of Four bei einem Fotoshooting im Jahr 1983.
Jon King und Andy Gill (re.) von Gang of Four bei einem Fotoshooting im Jahr 1983.imago images/Future Image
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Sein Sound war extra trocken wie sein Humor, von Unterhaltung hielt er wenig: Andy Gill, Gründungsmitglied der britischen Parade-Postpunk-Band Gang of Four, ist im Alter von 64 Jahren gestorben.

Nein, Maoisten waren sie nicht wirklich, die vier Kunststudenten in Leeds, die 1977 ihre Band nach der chinesischen Viererbande nannten. Aber sie verstanden sich als Marxisten und Situationisten zugleich, dazu kam, dass es in Leeds damals viele rechtsextreme Skinheads gab. Schon beim ersten Konzert der Gang of Four soll sich Andy Gill gegen einen solchen mit der Gitarre gewehrt haben. Sonst verwendete er das Instrument dezidiert nicht im Sinn der von ihm abgelehnten Hippies: „Statt Gitarrensolos hatten wir Anti-Solos, wo wir einfach ein Loch ließen“, erklärte Gill. Röhrenverstärker mochte er nicht, sie klangen ihm zu freundlich: „Gang of Four waren gegen Wärme.“

Diese Aussagen finden sich in Simon Reynolds' Postpunk-Geschichte „Rip It up and Start again“, in der Gang of Four einen prominenten Platz einnehmen. Tatsächlich waren sie die archetypische Postpunk-Band, mit der wütenden Energie des Punk, aber programmatisch kühl und rational, zur New Wave, die immer einen romantischen Rest in sich trug, hätte man sie nie gezählt. Ihrem Funk fehlte bewusst jede Gemütlichkeit, jeder Groove, ihre Texte klangen bisweilen wie zu Slogans komprimierte Seminararbeiten, nur witziger, wobei ihr Humor so trocken war wie ihr Sound. Im Song „Capital (It Fails Us Now)“, mit der streng materialistischen Pointe, dass der Erzähler das Geld einfach im anderen Anzug hat. Von Brechts „Fragen eines lesenden Arbeiters“ inspiriert ist „Not Great Men“, „Damaged Goods“ und „Anthrax“ wenden sich gegen Romantik, „At Home He Feels Like a Tourist“ im jähen Stakkato gegen die Freizeitindustrie, diese bis heute heftig wirkenden Stücke finden sich auf dem Album „Entertainment!“ (1979), dessen Titel natürlich auch sarkastisch zu verstehn ist.

Einfluss auf die nächste Generation

Mit diesem Album und seinem Nachfolger „Solid Gold“ waren Gang of Four zwar kommerziell nicht sehr erfolgreich – das hätte ihnen wohl auch nicht ins Konzept gepasst –, aber ihr Einfluss auf andere Musiker war immens. Und er hielt an: Vor allem britische Bands der Nullerjahre, Franz Ferdinand und Bloc Party etwa, orientierten sich bei ihrem Postpunk-Revival an ihnen – ästhetisch, weniger politisch. Indessen verließen drei der vier Gründungsmitglieder nach und nach die Gang, wechselten originellerweise in mittlere Führungspositionen der Musikindustrie. Andy Gill blieb. 2007 erlebte man ihn beim Donaufestival in Krems, wie er u. a. einen Mikrowellenherd zertrümmerte: „Großes linksradikales Männer-Pathos“, schrieb „Die Presse“, konstatierte aber den Einsatz von „elenden Rocker-Gesten“.

Sozusagen dialektisch führte Andy Gill in „Alpha Male“ einmal mehr das Patriarchat vor. Dieser Song war auf „Happy Now“ (2019), dem letzten Album der Gang of Four. Nun ist Andy Gill an einer Atemwegserkrankung gestorben, am Tag nach dem Brexit, den er als alter Internationalist abgelehnt hatte. Noch in der Todesmeldung seiner Mitmusiker auf Twitter meint man eine Spur seiner grimmigen Ironie zu hören: „Our great friend and supreme leader has died today.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.02.2020)

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