Nordwestsyrien

Gefährliche Zuspitzung im Kampf um Idlib

Die Türkei schickt Panzer über die Grenze in die immer heftiger umkämpfte Rebellenprovinz.
Die Türkei schickt Panzer über die Grenze in die immer heftiger umkämpfte Rebellenprovinz. APA/AFP/AAREF WATAD
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Bei einem Angriff syrischer Truppen wurden in der heftig umkämpften Rebellenprovinz vier türkische Soldaten getötet. Die Türkei startet eine Gegenoffensive. 35 syrische Soldaten starben dabei.

Istanbul. Unter dem Motto „Von Idlib nach Berlin“ haben sich am Sonntag mehrere Hundert Flüchtlinge an der Grenze der syrischen Provinz zur Türkei versammelt. „Wir werden Idlib verlassen, wir gehen zur türkischen Grenze und weiter nach Europa“, erklärte einer der Organisatoren der Kundgebung. Im Grenzgebiet suchen mehrere Hunderttausend Menschen Schutz vor den Kämpfen.

Die syrische Armee ist in der von radikalislamischen Gruppen beherrschten Gegend auf dem Vormarsch. Die Türkei wiederum, die einige Rebellengruppen in Idlib unterstützt, schickte am Sonntag mehrere Konvois mit Panzern und gepanzerten Fahrzeugen in das umkämpfte Gebiet.

In Idlib leben Flüchtlinge aus allen Landesteilen Syriens, die vor den Truppen von Machthaber Bashar al-Assad dorthin geflohen sind. Offiziell sollten in der letzten von Regimegegnern beherrschten Region Syriens die Waffen schweigen, doch die syrische Regierung und ihr Verbündeter Russland begründen ihre Offensive mit dem Argument, sie gingen gegen radikale Gruppen vor. Bei den Kämpfen vertreiben syrische Truppen und russische Kampfjets viele Zivilisten mit gezielten Bombardements von Krankenhäusern, Bäckereien und anderen Einrichtungen.

Schutz eingekreister Posten?

Nach Schätzung des Roten Kreuzes sind allein seit Jahresbeginn rund 150.000 Menschen zur Flucht gezwungen worden. Die meisten versammeln sich an der türkischen Grenze, wo viele in Zelten hausen. Die Türkei, die bereits 3,6 Millionen Syrer aufgenommen hat und einen Ansturm von insgesamt bis zu 700.000 Menschen aus Idlib befürchtet, hat in den vergangenen Tagen bereits mit einem Einmarsch in das Gebiet gedroht.

Die Regierung in Ankara schickte am Sonntag die Militärkonvois aus mehr als hundert Fahrzeugen nach Idlib. Bilder des Staatssenders TRT zeigten Kampfpanzer auf Tiefladern und gepanzerte Mannschaftswagen. Andere Bilder zeigten Schützenpanzer und Panzerhaubitzen auf der türkischen Seite der Grenze. Möglicherweise sollen die neuen Truppen die zwölf türkischen Militärposten in Idlib schützen, die 2018 nach einer Vereinbarung mit Russland eingerichtet worden waren.

Schon am Montag kam es zu Zusammenstößen. Vier türkische Soldaten sind nach Angaben der Regierung in Ankara im Nordwesten Syriens bei einem Angriff der Regierungstruppen getötet worden. Durch den Artilleriebeschuss in der Provinz Idlib seien am Montag außerdem neun Soldaten verletzt worden. Die Türkei reagierte mit einer Gegenoffensive. Bis zu 35 syrische Soldaten seien getötet worden, sagte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan am Montag in Istanbul. Der Militäreinsatz dauere an.

Entlastungsangriffe in Aleppo

Die zwölf türkischen Militärposten in Idlib wurden durch die eskalierenden Gefechte in den vergangenen Tagen teilweise von der syrischen Armee eingekreist. Die syrischen Truppen haben zuletzt mit russischer Unterstützung die strategisch wichtige Staat Maarat al-Numan an der Fernstraße M5 eingenommen. Assads Truppen rücken nun entlang der M5 in Richtung der Stadt Sarakib etwa 20 Kilometer weiter nördlich vor. Östlich von Sarakib kam am Sonntag einer der türkischen Militärkonvois an.

Islamistische Rebellen versuchten am Sonntag, mit Selbstmordanschlägen und neuen Angriffen in der Umgebung der Stadt Aleppo östlich von Idlib eine neue Front zu eröffnen.

Die militärische Eskalation stellt die türkisch-russische Allianz in Syrien auf eine harte Probe. Beide Staaten haben bisher trotz gegensätzlicher Interessen miteinander kooperiert und ihre Gegensätze ausgeklammert. In der Schlacht um Idlib könnte das türkisch-russische Bündnis zerbrechen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.02.2020)

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