Morgenglosse

Ab jetzt gilt: Man spricht English

APA/AFP/DANIEL LEAL-OLIVAS
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„Wir tolerieren keine Leute hier, die andere Sprachen als Englisch sprechen“, ließ ein Hausbewohner seine Mitmenschen wissen. Es wird Zeit, in die Wehmut über den Abschied den Realitätssinn zurückzugewinnen.

Der Abschied Großbritanniens von der EU wurde gefeiert, bejubelt oder mit einem Achselzucken hingenommen. Es dauert nur Stunden, um eine Ahnung zu bekommen, was der Brexit auch bedeuten wird. Es war Samstag um 6.00 Uhr in der Früh, als ein Bewohner eines Wohnhauses in Norwich einen Hinweis an die Hausgemeinschaft mit der Überschrift „Happy Brexit Day“ vorfand.

In dem Aufruf an die Hausbewohner, der über alle 15 Stockwerke des Gebäudes verbreitet wurde, hieß es: „Jetzt, wo wir endlich unser großartiges Land zurückhaben, ist die Zeit gekommen, den Bewohnern dieses Hauses eine Regel klarzumachen. Wir tolerieren keine Leute hier, die andere Sprachen als Englisch sprechen. Wir haben nun wieder die Kontrolle über unser Land, und das königliche Englisch ist die Sprache, die hier gesprochen wird.“

Was auf den ersten Blick an die legendäre Filmsatire von Gerhard Polt „Man spricht Deutsh“ über Touristen an der italienischen Adria erinnerte, stellte sich als weitaus weniger humorige Willensbekundung dar: „Wenn Sie weiterhin die Sprache jenes Landes, aus welchem auch immer sie hierhergekommen sind, sprechen wollen, dann empfehlen wir Ihnen, in ebendieses Land zurückzukehren und die Wohnung freizumachen, damit wieder britische Menschen hier leben können und wir erneut ein normales Leben führen können, wie wir es hatten, bevor Sie diese einst großartige Insel verseuchten.“

Die lokale Polizei erklärte dazu: „Es darf keinen Platz in unserer Gesellschaft für Hass und Intoleranz geben.“ Der lokale Abgeordnete Clive Lewis von der oppositionellen Labour Party versprach, Norwich werde „immer Rassismus und Engstirnigkeit niederringen.“ Eine Stellungnahme der konservativen Regierung in London? Fehlanzeige.

Vielleicht war man ja nach den Brexit-Feiern in der Downing Street doch ein wenig verkatert. Der angeblich betont zurückhaltende Empfang mit Premierminister Boris Johnson wurde in der Nacht auf Samstag dann nach mittlerweile veröffentlichten Fotos offenbar doch ein rauschendes Fest. Mit elf Gongschlägen läutete der Regierungschef persönlich den Brexit ein und stand dabei in aller Bescheidenheit unter einem Porträt von König Heinrich VIII. – dem letzten Machthaber in London, der einen radikalen Bruch mit dem Kontinent vollzogen hat.

Dass es Zeit wird, in die Wehmut über den Abschied der Briten von der EU rasch den Realitätssinn zurückzugewinnen, machten dann auch die ersten Signale Londons nach dem Brexit klar. Die Regierung Johnson sieht sich als Sieger des Brexit. Kompromisse in Verhandlungen sind nicht vorgesehen. Die Beibehaltung von EU-Bestimmungen stünde außer Frage, erklärte gestern Außenminister Dominic Raab empört: „Das ist für uns völlig indiskutabel.“ Entlarvend wie London das neue Kräfteverhältnis gegenüber Brüssel sieht, fügte er hinzu: „Wir verlangen ja von der EU auch nicht, dass sie unsere Bestimmungen übernimmt.“ 

Nunmehr gilt: Man spricht English.

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