Leitartikel

Britische Nagelprobe für die geopolitische EU-Kommission

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BELGIUM-EU-BREXIT(c) APA/AFP/KENZO TRIBOUILLARD (KENZO TRIBOUILLARD)
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Das Ringen um das künftige Verhältnis zu London wird weisen, ob die Europäer ihre Ziele und Werte machtpolitisch durchsetzen können.

Nach dem Brexit ist vor dem Brexit: Zwar ist das Vereinigte Königreich seit der Nacht auf vergangenen Samstag nicht mehr Mitglied der EU. Doch an all die Vorschriften des Brüsseler Klubs sind sie zumindest bis Jahresende weiterhin gebunden. Und da kann Premierminister Boris Johnson in Partylaune noch so oft auf einen Gong klöppelnd Big Ben imitieren, wie er das in der Brexit-Nacht getan hat: Seine politische Zukunft hängt von dem Wirtschafts- und sicherheitspolitischen Abkommen zwischen seinem Land und der Union ab, welches er von nun an mit den Europäern auszuhandeln hat.

Sie haben zu Beginn dieses Verhandlungspokers die klar besseren Karten in der Hand: Die britische Volkswirtschaft ist stark abhängig davon, nahtlos in die gesamteuropäische eingeflochten zu sein. 45 Prozent aller britischen Ausfuhren finden europäische Abnehmer, 53 Prozent der britischen Einfuhren stammen aus der EU. Johnson mag noch so laut poltern und drohen: Am Ende wird er einknicken müssen. Denn ohne Zugang zum gemeinsamen Binnenmarkt der EU bleiben seine Unternehmen auf ihren Waren sitzen, können die britischen Banken den fortgesetzten Zugang zu europäischen Anlegern und Kunden vergessen und ist sein hochtrabendes Versprechen, das Vereinigte Königreich zu einer neuen globalen Freihandelssupermacht zu machen, nicht einmal das Papier wert, auf dem es niedergeschrieben wurde. Für die Europäer wäre so ein „hartes“ Ende der Übergangsfrist gewiss auch sehr unangenehm. Die Wertschöpfungsketten nicht nur großer Industrieunternehmen laufen über zahllose Landesgrenzen, die zudem im Binnenmarkt ohnehin kaum eine Rolle spielen. Bevor ein Auto in einer britischen Fabrik vom Band läuft, gab Frankreichs Europaministerin, Amélie de Montchalin, am Montag im Gespräch mit der „Presse“ und einer Handvoll anderer europäischer Medien zu bedenken, hat es bereits – in Form seiner Einzelteile – viermal den Ärmelkanal im Eurotunnel überquert. An diesen Wertschöpfungsketten hängen beiderseits viele Arbeitsplätze. Es wäre in niemandes Interesse, sie zu gefährden. Das weiß auch Boris Johnson. Aber letztlich könnten Europas Exporteure viel schneller neue Märkte finden, denn sie sind klar weniger abhängig vom britischen Markt: Nur zehn Prozent aller Ausfuhren aus der EU gehen ins Vereinigte Königreich.

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