Gastkommentar

Wenn Politiker zu Heiligenfiguren werden

(c) Peter Kufner
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Evangelikale wie konservative Katholiken in den USA sehen Präsident Donald Trump als ein Instrument Gottes an. Folglich ist es ihnen egal, wie gut untermauert die Anschuldigungen der Gegner über sein Fehlverhalten sind.

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Charles Carroll aus Carrollton (Maryland) war der einzige Katholik, der 1776 die Unabhängigkeitserklärung unterzeichnete. Obwohl er einer der Gründerväter war, war es ihm als Katholiken nicht gestattet, ein öffentliches Amt auszuüben. Dies änderte sich erst 1789, als die Verfassung es dem Kongress untersagte, eine Staatsreligion einzuführen und die Religionszugehörigkeit als Ausschlusskriterium für Bewerber um ein öffentliches Amt abgeschafft wurde.

Nicht alle waren über diese Trennung von Kirche und Staat glücklich. Thomas Jefferson wurde von einigen als gefährlicher Ungläubiger angegriffen. Und viele religiöse Eiferer glaubten, dass – falls Jefferson zum Präsidenten gewählt würde – die Religion in Amerika sterben würde. Bis heute würden viele die Religion gern wieder in den Mittelpunkt des öffentlichen und politischen Lebens der USA stellen. Dies ist vermutlich, was US-Justizminister William Barr, ein erzkonservativer Katholik, meinte, als er „Säkularisten“ eines „Anschlags auf Religion und traditionelle Werte“ beschuldigte.

„Rückständige Katholiken“

Auch die Vorurteile gegenüber Katholiken als Feinde der Freiheit und potenzielle Verräter (aufgrund ihrer geistigen Verbundenheit mit Rom) verschwanden nur langsam. 1821 fragte John Adams, ob es „überhaupt möglich ist, dass eine freie Regierung mit einer katholischen Religion existieren kann“.

Angloamerikanische Freiheit und Demokratie waren traditionell mit einem robusten protestantischen Individualismus verknüpft; Katholiken galten als reaktionäre Sklaven einer kirchlichen Hierarchie. Individualistische Protestanten galten als frei denkend, fleißig und bestrebt, materiell wie spirituell das Beste aus sich zu machen, während Katholiken als rückständig und nicht selten als faul angesehen wurden.

Durch den berühmten deutschen Soziologen Max Weber (ein Protestant) wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Vorstellung gefördert, dass Katholiken nicht zum Kapitalismus fähig seien. John F. Kennedy, der bisher einzige katholische US-Präsident, musste im Wahlkampf ausdrücklich erklären, dass seine Treue der Verfassung und nicht dem Vatikan gelte.

Die schrillen Ansichten des jetzigen US-Justizministers sind nicht das einzige Anzeichen dafür, wie sehr sich die Zeiten geändert haben. Nur ein Richter am Obersten US-Gerichtshof ist Protestant (Neil Gorsuch), und selbst er wurde katholisch erzogen. Drei Richter sind Juden. Die fünf anderen sind Katholiken (einige mit Verbindungen zu Opus Dei, einer geheimniskrämerischen Organisation, deren Aufstieg im faschistischen Spanien der 1930er Jahre begann).

Trumps treueste Anhänger

Die andere historische Veränderung, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einsetzte, ist der politische Schulterschluss der evangelikalen Christen mit den konservativen Katholiken. Lange Zeit waren die US-Protestanten damit zufrieden, mit einer Verfassung leben zu können, die ihr religiöses Leben vor staatlichen Eingriffen abschirmte. Man konnte den spirituell neutralen Regierungen den öffentlichen Raum überlassen, solange sie die Gläubigen in Ruhe ließen. Dies änderte sich im Gefolge der Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre, die viele weiße Christen insbesondere in den südlichen Staaten in Alarmstimmung versetzte.

Heute gehören die Evangelikalen ebenso wie die katholischen Konservativen zu Präsident Trumps eingefleischtesten Anhängern. Auch sie glauben, dass Familie und Glaube einem Angriff von Liberalen und Säkularisten ausgesetzt sind. Für beide Gruppen ist es dabei belanglos, dass Trump nicht als religiös bekannt ist und dass sein Leben alles andere als ein Musterbeispiel für christliche Moral war. Leute wie Energieminister Rick Perry glauben, dass Trump „der von Gott Auserwählte“ ist. Außenminister Mike Pompeo hat vor nicht allzu langer Zeit nahegelegt, dass Trump von Gott „erhöht“ worden sei, um Israel zu retten. „Als Christ“, so äußerte er, „halte ich das eindeutig für möglich.“

Über jeden Tadel erhaben

Dies als Scheinheiligkeit zu bezeichnen geht am Kern der Sache vorbei. Eine Verehrung dieser Art erfordert nicht, dass ein Führer moralisch über jeden Tadel erhaben ist. Auch ein Sünder kann ein Instrument Gottes sein.

Da sie nicht der Voreingenommenheit beschuldigt werden möchten, zögern die Menschen bisweilen, den religiösen Hintergrund von Personen des öffentlichen Lebens in Amerika anzusprechen. Doch ist es wichtig, sich die Geschichte bestimmter Glaubensrichtungen bewusst zu machen, um eine außergewöhnliche Zeit zu verstehen, in der ein sündhafter Präsident von Gläubigen umgeben ist, die überzeugt sind, dass Gott ihn ins Weiße Haus gebracht hat, um Israel zu retten und ein gottloses Amerika zu erlösen.

Nun sind aber offenkundig nicht alle Katholiken reaktionär. Papst Franziskus ist es nicht, was auch der Grund ist, warum manche Katholiken wie Steve Bannon, ein früher ideologischer Einflüsterer Trumps, ihn zutiefst ablehnen.

Es gibt eben einen in Europa wurzelnden Strang des Katholizismus, der sich nie mit der Französischen Revolution versöhnt hat, die die weltliche Macht der Kirche brach und das Gottesgnadentum der Könige abschaffte.

Der Versuch zeitgenössischer katholischer Konservativer und Evangelikaler, ihre religiösen Ansichten in die Politik hineinzutragen, läuft den Ideen der der Französischen Revolution, die die Freiheit von der Religion hochzuhalten suchte, aber auch der Amerikanischen Revolution, die die Religionsfreiheit etablierte, offensichtlich zuwider. Beide Gruppen nehmen die sorgsam errichteten Barrieren zwischen Kirche und Staat ins Visier.

Die heiligen Prinzipien

Dies ist gefährlich. Nicht nur, weil es Intoleranz fördert, sondern auch, weil es die Vorstellung in Frage stellt, dass die politische Debatte auf Vernunft beruhen sollte. Wenn politische Konflikte erst einmal zu Glaubenskonflikten werden, macht das Kompromisse unmöglich. Ein Gläubiger kann über ein heiliges Prinzip nicht verhandeln. Für jene, die Trump als Instrument Gottes ansehen, ist es egal, wie rational die Anschuldigungen seiner Gegner über Trumps Fehlverhalten sind.

Es ist möglich, dass Trumps ehrfürchtige Basis nicht ausreichen wird, um ihm eine zweite Amtszeit im Weißen Haus zu verschaffen. Doch ist ein derart inbrünstiger Glaube schwer mit rationalen Plänen zur Lösung dieses oder jenes Problems zu bekämpfen.

Das ist der Grund, warum es so beunruhigend ist, Leute an der Spitze der US-Regierung mit Begriffen über Politik sprechen zu hören, die eigentlich in die Kirche gehören. Sie stellen die Gründungsprinzipien der amerikanischen Republik in Frage und könnten sich dadurch tatsächlich durchsetzen.

Aus dem Englischen von Jan Doolan
Copyright: Project Syndicate, 2020.

DER AUTOR

Ian Buruma (geboren 1951 in Den Haag) studierte chinesische Literatur in Leiden und japanischen Film in Tokio. 2003 wurde er Professor für Demokratie und Menschenrechte am Bard College in New York, 2008 mit dem Erasmus-Preis ausgezeichnet. Zahlreiche Publikationen; zuletzt ist von ihm heuer erschienen: „A Tokyo Romance: A Memoir“ (Penguin Press).

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.02.2020)

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