Filmkritik

„The Lodge“: Winterlicher Hüttenhorror, fast aus Österreich

Der geschiedene Vater (Richard Armitage) nimmt gegen den Protest der Kinder seine neue Flamme Grace (Riley Keough) mit auf die Hütte.
Der geschiedene Vater (Richard Armitage) nimmt gegen den Protest der Kinder seine neue Flamme Grace (Riley Keough) mit auf die Hütte.(c) SquareOne Entertainment
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Mit „The Lodge“ legt das heimische Regieduo Veronika Franz und Severin Fiala seine erste englischsprachige Arbeit vor: ein ausgesucht unbehagliches Horror-Kammerspiel.

Anton Tschechow schrieb einmal, dass ein geladenes Gewehr nichts auf der Theaterbühne verloren hat, falls keiner plant, es abzufeuern. Ein Plädoyer für effizientes Erzählen, das auch im Kino als dramaturgischer Grundsatz zur Debatte steht. Ob man ihm anhängt, ist eine Haltungsfrage. In seinen „Funny Games“ pflanzte Michael Haneke Aufnahmen eines Messers – das dann höhnisch entsorgt wird, um die Zuschauer für ihre Konventionsgier abzuwatschen. Wenn in „The Lodge“, dem neuen Film von Veronika Franz und Severin Fiala, ein Revolver hervorgekramt wird, kann man sich hingegen sicher sein, dass er früher oder später tatsächlich zum Einsatz kommt. Denn obwohl das österreichische Regieduo mit allen Kunstfilmwassern gewaschen ist, liebt es Genrekino − und steht zu dessen unverschämtem Unterhaltungsanspruch.

Das zeigte schon ihr Spielfilmdebüt „Ich seh Ich seh“ (2014). Mit heißkalter Hingabe erzählte es von einem Zwillingspaar, das die Menschlichkeit seiner Mutter anzweifelt. In hiesigen Gefilden schlug das Spannungsstück kaum Wellen. Doch eine US-Firma kaufte die Rechte, und der internationale Trailer ging viral. Erfolg und Aufmerksamkeit folgten – sogar in Österreich. Franz und Fiala wagten sich an ein englischsprachiges Projekt, das auf den ersten Blick viele Ähnlichkeiten zu „Ich seh Ich seh“ aufweist – aber ungleich ambitionierter ist. Premieren feierte „The Lodge“ letztes Jahr bei Festivals wie Sundance und dem Wiener Slash. Ab Freitag ist er regulär bei uns zu sehen.

Wer einen Hollywood-Ausverkauf befürchtet, sei hiermit entwarnt: Die hantige Handschrift des Regiegespanns ist intakt. Wieder steht ein Horrorhaus im Mittelpunkt: die titelgebende Hütte am Waldesrand. Dorthin verfrachtet ein wohlmeinender Vater (Richard Armitage) seine Kinder Aidan (Jaeden Martell, bekannt aus den neuen „Es“-Filmen) und Mia (Lia McHugh). In winterlicher Abgeschiedenheit sollen sie mit Papas neuer Flamme Grace (toll: Riley Keough) warm werden. Doch der Widerwille ist groß: Vor allem der pubertierende Bub gibt der fragilen jungen Frau die Schuld für Brüche im Familiengefüge.

Exzentrische Details

Franz und Fiala nehmen von Anfang an keine Gefangenen. Unbehagen rinnt aus allen Ritzen des geräumigen, aber trotzdem beengenden Schauplatzes. Die Ausstattung (dunkle Holztäfelung, schwerer Steinkamin, Luster aus Hirschgeweih) trägt ebenso dazu bei wie feinnerviges Sounddesign, kriechende Zooms und eine subtil verfremdete Bildsprache (Kamera: Thimios Bakatakis). Zugleich ist „The Lodge“ nicht über Schockeffekte erhaben (schriller die Orgeln nie pfeifen!). Und erfreut mit exzentrischen Details: Urzeitkrebse, verstörendes Weihnachtsspielzeug, ein unheimliches Puppenhaus.

Indessen treibt die Handlung ein gefinkeltes Vexierspiel, von dem hier nicht zu viel verraten werden soll: Was ist (Alb-)Traum, was Wirklichkeit? Die Wahnspiralen vor der Kältekulisse drängen zum Vergleich mit Kubricks „Shining“. Doch Vorbild der Filmemacher waren eher Streifen wie der Psychothriller „Taste of Fear“ (1961): ein Geheimtipp aus den Schatzkammern der altgedienten britischen Horrorfilmschmiede Hammer, die „The Lodge“ mitproduziert hat.

Nicht alle Balanceakte des kühlen Kammerkollers gehen auf. Manchmal kippt seine durchdringende Atmosphäre in ästhetische Monotonie, und gegen Ende strapaziert manch eine Wendung die Glaubwürdigkeit. Doch man bleibt dabei: Auch aufgrund psychologischer Grundierung. Im Kern geht es um ein Duell der Traumata, mit Klassenklüften und (religiösem) Fanatismus als Urquell des Bösen. Christliche Symbolik wird diabolisch umgedeutet: Schneeengel, Kreuze und eine finstere Grusel-Madonna starren ominös, während Grace mit einem gehauchten Choral für Gänsehaut sorgt: „Nearer, My God, to Thee . . .“ So treffen Ösi- und US-Komplexe aufeinander!

Das Schrecklichste und Schönste an „The Lodge“? Dass er dem Grauen Verständnis entgegenbringt. Man könnte ihn sogar moralisch deuten, als Warnung vor den desaströsen Konsequenzen, die Empathiemangel in Ausnahmezuständen zeitigen kann. Doch Erlösungskatharsis gibt es hier genauso wenig wie bei Haneke: Die bittere Besinnlichkeit der Schlussnote zeugt von tiefer Traurigkeit im Herzen dieses Films.

Der nächste Wurf des Teams Franz-Fiala ist übrigens in Vorbereitung – und bringt es in doppelter Hinsicht zurück auf vertrautes Terrain. „Des Teufels Bad“ spielt im Oberösterreich des 18. Jahrhunderts und dreht sich um „Frauen, Religion und Ritualmord“. Man wird sich wohl wieder warm anziehen müssen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.02.2020)

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