EU-Recht

Familienbeihilfe: Enttäuschte Erwartungen

Kinder im Ausland bekommen weniger Familienbeihilfe. Ob das rechtlich hält, ist noch offen.
Kinder im Ausland bekommen weniger Familienbeihilfe. Ob das rechtlich hält, ist noch offen.Getty Images
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Die Kürzung der Beihilfen für Kinder, die im Ausland leben, brachte deutlich weniger Ersparnis, als von der türkis-blauen Regierung erwartet. Dafür gaben viele Pflegerinnen aus Osteuropa ihren Job auf.

Wien. Die Kürzung der Familienbeihilfe für Kinder im EU-Ausland bringt deutlich weniger ein, als von der früheren türkis-blauen Regierung geplant: Statt 114 Millionen Euro sind es nur rund 62 Millionen. Das geht aus der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage der Neos hervor.

1. Welche Leistungen gibt es überhaupt für Kinder im Ausland?

Familienbeihilfe bekommen EU-Bürger, die in Österreich arbeiten, deren Kinder aber im EU-Ausland leben, nicht aber andere Ausländer, etwa Türken. Dabei gibt es zwei Kategorien: erstens die „vorrangige Zuständigkeit“ Österreichs. Die trifft zu, wenn beispielsweise der Vater in Österreich arbeitet, die Mutter mit den Kindern im Heimatland ist und dort nicht arbeitet. In diesem Fall gibt es die volle Familienbeihilfe. Die „nachrangige Zuständigkeit“ Österreichs ist gegeben, wenn auch der Elternteil im Heimatland arbeitet: In diesen Fällen wird die Differenz auf die Familienbeihilfe-Leistungen im Heimatland ausbezahlt.

Seit 1. Jänner 2019 sind die Leistungen „indexiert“, das heißt, an das Preisniveau im jeweiligen Heimatland angepasst. Das führt in vielen Ländern – vor allem in den osteuropäischen – zu einer deutlichen Kürzung der Familienbeihilfe, in manchen Ländern wie Dänemark oder der Schweiz, aber auch zu einer Erhöhung.

2. Wie viele Kinder in welchen Ländern sind betroffen?

Im Vorjahr waren es rund 137.100 Kinder, davon erhielten 28.610 die volle Familienbeihilfe und 108.500 die Differenzzahlung. Dafür wurden 213 Millionen Euro ausbezahlt. Im Jahr 2018, vor der Indexierung, waren es 275 Millionen Euro für 133.000 Kinder. Statistiken darüber, wie viele Kinder in welchen Ländern betroffen sind, gibt es nur für jene, die die volle Familienbeihilfe erhalten. Von diesen 28.610 Kindern leben 9299 in Ungarn, 4126 in der Slowakei, 3152 in Rumänien und 2686 in Deutschland. Viele Kinder gibt es auch in Polen, Slowenien, Tschechien und Kroatien.

3. Wird die Indexierung der Familienbeihilfe rechtlich halten?

Die EU-Kommission hat die Indexierung der Familienbeihilfe stets kritisch bewertet und diese als nicht vereinbar mit dem EU-Recht eingestuft. Die Position der Kommission ist, dass alle Arbeitnehmer die gleichen Beiträge einzahlen und dafür auch die gleichen Leistungen erhalten müssten. Im Vorjahr hat die Kommission zwei Mahnschreiben an Österreich verfasst. Das zweite ging bereits an die Beamtenregierung Bierlein, die aber den Standpunkt der türkis-blauen Regierung beibehielt und die Maßnahme verteidigte. Jetzt muss die EU-Kommission entscheiden, ob sie den Europäischen Gerichtshof anruft. Dieser Schritt hätte – so die Meinung von vielen Rechtsexperten – große Erfolgsaussichten und könnte der Republik Strafzahlungen in Millionenhöhe einbringen.

4. Kann auch ein österreichisches Gericht das Gesetz kippen?

Auch da gibt es einen Versuch, das Gesetz zu Fall zu bringen: Klaus Katzianka, Chef einer Agentur für 24-Stunden-Betreuung, unterstützt eine Pflegerin aus der Slowakei, die 71,77 Euro im Monat weniger erhielt, bei ihrem Versuch, rechtlich dagegen vorzugehen. Dabei wird die Kürzung der Familienbeihilfe vor dem Bundesfinanzgericht und in weiterer Folge vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochten. Auch diese Klage habe gute Aussichten auf Erfolg, glaubt Franz Marhold, Professor für Sozialrecht an der Wirtschaftsuniversität Wien.

Die Pflegerin selbst hat übrigens schon die Konsequenzen gezogen und den Job bei der Betreuungsagentur aufgegeben. Sie hat jetzt Arbeit in der Slowakei gefunden. Laut Katzianka ist das kein Einzelfall – etliche Pflegerinnen seien in ihr Heimatland zurückgekehrt. „Ich glaube, dass 3000 bis 5000 aus der Slowakei das Handtuch geworfen haben“, sagt Katzianka. Angesichts „beschämender“ Bezahlung – für die 24-Stunden-Betreuung gibt es rund 2,50 Euro pro Stunde – mache die Familienbeihilfe oft den wesentlichen Unterschied aus. Verlierer in der Geschichte seien die Pflegebedürftigen. Denn es sei jetzt noch schwerer als bisher, eine Betreuung zu finden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.02.2020)

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