Ziellos im längsten Krieg der US-Geschichte

Obama setzt Testosteronjunkie General McChrystal ab, doch die Probleme in Afghanistan bleiben.

General Stanley McChrystal, der Afghanistan-Oberkommandierende, den Obama gefeuert hat, ist ein Soldat vom Typ Frontschwein. In seinem Stab, der sich selbst das Label „Team America“ verpasst hat, fanden sich Testosteronjunkies aus den verschiedensten Eliteeinheiten, die Kommunikationsform der Gruppe war ein deftiger Kommisston. In der Story im Musikmagazin „Rolling Stone“, die ihn den Job gekostet hat, findet sich 19-mal das Wort „fuck“ dazu ein halbes Dutzend Mal der Fäkalausdruck „shit“. In der „Rolling Stone“-Story „General außer Kontrolle“, ziehen McChrystal und seine Männer über die Mitglieder des Obama-Kabinetts her, als säßen ihre Feinde, die Taliban, im Westflügel des Weißen Hauses und nicht in Afghanistan.

Offene Illoyalität seines Afghanistan-Oberkommandierenden konnte und wollte US-Präsident Barack Obama nicht hinnehmen und feuerte den vorlauten General. Ihn ersetzt der politisch versiertere und kontrollierter agierende General Petraeus, der in der Mai-Ausgabe des US-Mode- und Starmagazins „Vanity Fair“ als „Professor des Krieges“ bezeichnet wurde. Dass dieses Porträt über den früheren Irak- und nunmehrigen Afghanistan-Befehlshaber gänzlich ohne Fäkalausdrücke auskommt, wird Obama beruhigen.

Doch mit dem Ersetzen eines US-Generals durch den nächsten ist das Problem nicht gelöst.

Dass ein Krieg gegen Aufständische in Afghanistan nicht zu gewinnen ist, mussten sowohl die UdSSR und zuvor die Briten in einer bitteren Lektionen lernen. Der Einzige, so heißt es, der Afghanistan jemals unterworfen hat, war Dschingis Khan – und das war lange vor der Einführung des Kriegsvölkerrechts, globalen Massenmedien und lange, bevor improvisierte Sprengsätze zum Standardarsenal von Aufständischen wurden. Das Dumme für die USA: Auch sie können diesen Krieg nicht gewinnen. Warum? Weil ein Sieg in Afghanistan nicht möglich ist. Noch einmal zurück zur russischen Erfahrung in Afghanistan: Die Sowjetunion wusste, dass sie den Zweiten Weltkrieg gewonnen hatte, als Sergeant Michael Minin am 1. Mai 1945 die Flagge der UdSSR am Reichstag hisste.

Die US-Analogie: Es wehen Dutzende Stars-and-Stripes-Flaggen überall in Afghanistan auf dem Gelände von US-Basen, jeder der 150.000 US-Soldaten in Afghanistan trägt das Sternenbanner auf seinem Ärmel. Dennoch kann niemand von einem Sieg in Afghanistan sprechen.

Im Gegenteil: Seit die USA nach dem 11. September 2001 den Truppen der Nordallianz geholfen haben, die Taliban aus Kabul zu jagen, und seit amerikanische Soldaten auf dem Hindukusch operieren, ist es den Taliban gelungen, sich umzugruppieren und die Initiative an sich zu reißen.

Warum das so ist, das wissen die Afghanistan-Experten in Washington nur zu gut.

Das Verteidigungsbudget der USA beträgt weit über 600 Milliarden Dollar (489 Mrd. Euro) im Jahr, US-Diplomaten haben gerade 50 Milliarden Dollar (41 Mrd. Euro) zur Verfügung. Zum Vergleich: Die Gesamtausgaben der Republik Österreich betragen 70 Milliarden Euro.

Eine Armee hat aber weder die Expertise noch die richtigen Ressourcen, um zivile Strukturen im Land aufzubauen.

Die vorhandenen afghanischen zivilen Institutionen flößen nicht gerade Vertrauen ein: Der Regierung von Präsident Hamid Karzai ist es nie gelungen, auch nur eine Basisversorgung der Bevölkerung sicherzustellen – trotz der vielen Milliarden an Hilfsgeldern, die nach Kabul geflossen sind. Dass die Wahl letzten Sommer von fundierten Wahlbetrugsvorwürfen begleitet war, hat Karzais Autorität zusätzlich untergraben.

Zudem bleibt die wichtigste Frage unbeantwortet: Was machen die US-Soldaten eigentlich im mittlerweile längsten Krieg der US-Geschichte? Bin Laden finden? Die Weigerung der Taliban, Osama bin Laden nach den Anschlägen vom 11. September in die USA auszuliefern, war der Grund für Präsident George W. Bush, US-Soldaten nach Afghanistan zu schicken. Doch bin Laden ist entweder tot oder sitzt in einer Höhle irgendwo in den Bergen zwischen Pakistan und Afghanistan.

Das krisengeschüttelte Amerika ist kriegsmüde und fühlt sich von den Afghanen allein gelassen. „New York Times“-Kolumnist Tom Friedman bringt es auf den Punkt: „Warum müssen wir die afghanische Armee ausbilden? Das ist so, als käme jemand mit einem Plan daher, der vorsieht, brasilianische Burschen im Fußballspielen auszubilden.“

Obamas Probleme im längsten Krieg Seite 1

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.06.2010)

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