Warum gibt es in Österreich keinen Bann auf eine politische Zusammenarbeit mit der FPÖ? "Stern"-Kolumnist Jörges sieht den Grund in mangelndem Verantwortungsgefühl für die Nazi-Zeit.
Dass am gestrigen Dienstag ein FDP-Mann mit den Stimmen der AfD gewählt wurde, ist in Deutschland ein Tabubruch. Das Manöver, offenbar geplant, brach einen Grundkonsens, es erschüttert das politische Berlin aus vielen Gründen. Über die Frage, wie Deutschland und Österreich mit (weit) rechten Parteien umgehen, über Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen AfD und FPÖ kann man sicher trefflich diskutieren, mit einem einzelnen Satz lässt sich ein Vergleich wohl nicht auf den Punkt bringen.
Und doch hatte in der gestrigen "ZiB 2" ein deutscher Journalist eine recht simple Formel für eine recht komplexe Frage parat. "Bitte erklären Sie den Zuschauern in einem Land, in dem die FPÖ bis vor wenigen Monaten in der Regierung gesessen ist, warum in Deutschland derartige Aufregung herrscht, wenn ihre Schwesterpartei AfD einen Ministerpräsidenten mitwählt - von Koalition redet ja überhaupt niemand." So fragte Armin Wolf am Mittwochabend "Stern"-Kolumnist Hans-Ulrich Jörges.
Die Antwort kam prompt: "Ich glaube im Kern, weil in Deutschland die Erinnerung und das Verantwortungsgefühl für die Nazi-Vergangenheit sehr viel präsenter sind als in Österreich." Eine etwas väterliche These, die sozusagen auf einen Geistes- oder Bildungsmangel hierzulande abzielt. Und ja, der Opfermythos in Österreich wurde spät relativiert, erst 1991 hielt Franz Vranitzky im Nationalrat jene berühmt gewordene Rede, in der er die Mitschuld von Österreichern am Zweiten Weltkrieg offen aussprach. Das "Schlussstrichziehen" war über Jahrzehnte hindurch ein Wunsch, der immer wieder in neuen Varianten auftauchte - allerdings ebenso in der deutschen wie auch der österreichischen Nachkriegsgeschichte.