Gastkommentar

Auf der Suche nach dem fairen Frieden

Drei Schlüsselfragen, von denen eine dauerhafte Lösung des Konflikts in der Ostukraine vor allen Dingen abhängt.

Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.

>>> Mehr aus der Rubrik „Gastkommentare“

Als die Staatsoberhäupter der Ukraine, Russlands, Deutschlands und Frankreichs (das sogenannte Normandie-Format) sich im vergangenen Dezember in Paris zusammensetzten, um die Situation im ukrainischen Donbas zu besprechen, war dies vor allem der Initiative des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskij zu verdanken. Selenskij hatte mit einer klaren Friedensbotschaft sein Amt angetreten – und er zeigte von Anfang an, dass er es damit ernst meint.

Es gibt aber drei Schlüsselfragen, von denen eine echte Friedensperspektive abhängt:

Erstens: Was will Russland? Dessen primäres Anliegen war es bisher, die Ukraine in seinem Schatten zu halten. Dies war das Ziel der militärischen Intervention. Es sind russische Fahnen, Soldaten, Waffen auf dem ukrainischen Territorium – nicht umgekehrt. Ob Russland bereit ist, sich zurückzuziehen, ist fraglich.

Jedenfalls war die Drohung des russischen Parlamentspräsidenten Wjatscheslaw Wolodin Ende 2019, die Ukraine könnte noch weitere Teile verlieren, kein gutes Omen; genauso wenig wie der wieder zugenommene Artilleriebeschuss und die Scharfschützenüberfälle gegen ukrainische Soldaten es sind.

Zweitens: Wie verhält sich die ukrainische Gesellschaft, deren Schmerzgrenze längst überschritten ist? Die Mehrheit will ein Ende des Blutvergießens. Für viele aber bedeutet Frieden ohne Sieg eine Niederlage. Sie fragen sich jetzt: War der Preis, den die Ukraine bezahlt hat, nicht zu hoch, um den Krieg mit einem Kompromiss zu beenden?

Das Gedächtnis des Westens

Drittens: Ist das Gedächtnis des Westens noch stark genug, um sich zu erinnern, wer der Aggressor ist. Wenn der Druck auf Russland nicht mehr da ist, könnte das ein Grund weniger sein, sich in Richtung eines fairen Kompromisses zu bewegen. Das heißt, eines Kompromisses, der nicht ausschließlich auf Kosten der Ukraine gehen würde.

Selenskijs Versprechen

Ein Krieg bringt niemals einfache Lösungen. Jede Entscheidung ist schlecht. Jedes Zugeständnis verursacht eine Welle des Hasses in sozialen Medien. Dennoch hält Selenskij an seinem Wort fest. Er versprach, politische Gefangene aus Russland zurückzubringen – und hat es (zum Teil) getan. Er versprach, ein nichtkorruptes Ministerkabinett von Experten zu bilden – und hat es getan. Nun ist die Beendigung des Kriegs an der Reihe: Nur, wie es so schön heißt: „It takes two to tango.“

Die Ukraine hat entschieden, ihren Weg zu gehen, ohne zu wissen, ob Russland es mit dem Frieden ernst meint. Präsident Selenskij nimmt ein enormes politisches Risiko in Kauf, damit die Ukraine und die ganze Region endlich aufatmen können. Und ja, er tut es auch für Europa.

Wenn Russland tatsächlich Frieden will, dann muss es guten Willen zeigen. Die russischen Kämpfer müssen vom ukrainischen Donbas abgezogen werden. Die Attacken müssen aufhören – sowohl rhetorische als auch militärische.

Ja, die ukrainisch-russischen Beziehungen liegen jetzt in Trümmern. Nach Donbas und Krim wird es vermutlich Generationen brauchen, bis tragbare politische Lösungen gefunden werden und wieder Normalität einkehrt. Aber der erste Schritt – das Ende des Blutvergießens – muss jetzt getan werden.

Vom Westen wird nur Prinzipientreue erwartet. Denn letztlich war dieser Krieg eine Bestrafung Russlands für die Entscheidung der Ukraine, Teil des Westens zu sein. Weiß man das noch?

Zum Autor

Dr. Olexander Scherba steht seit 1995 im diplomatischen Dienst der Ukraine und ist seit November 2014 Botschafter seines Landes in Österreich.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.02.2020)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.