Zeichentrick

Die wundersame Märchenwelt von Ghibli

Warten auf den Katzenbus – im Ghibli-Klassiker „Mein Nachbar Totoro“ (1988).
Warten auf den Katzenbus – im Ghibli-Klassiker „Mein Nachbar Totoro“ (1988).(c) Studio Ghibli
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Die Filme des japanischen Studio Ghibli entziehen sich den gewohnten Narrativen – und entführen in eine Welt, in der Fahrräder fliegen und ein bisschen Furcht okay ist. Jetzt auch auf Netflix.

Hier hütet eine warzige alte Hexe ein Sumo-Riesenbaby, hier schlüpfen Prinzessinnen aus Bambusblättern, hier verleihen Steine Flugkräfte – und wer im Regen steht, wird von einem Bus in Form einer überdimensionalen Grinsekatze abgeholt: Willkommen in der Ghibli-Welt! Insgesamt 21 Zeichentrickfilme des japanischen Studio Ghibli erscheinen im Lauf der nächsten Wochen auf Netflix (sieben sind bereits verfügbar). Dem Streamingdienst ist damit ein kleiner Coup gelungen: Während Konkurrent Disney+ Kunden abzuwerben droht, sichert sich Netflix fast das Gesamtwerk einer (lang Streaming-skeptischen) Animationsschmiede, die die kreativen Köpfe bei Disney stets inspiriert hat – und die sich den üblichen (westlichen) Erzähltraditionen zugleich auf betörende Weise entzieht.

Das wird auch im größten Ghibli-Hit deutlich: In „Chihiros Reise ins Zauberland“, 2003 mit einem Oscar prämiert, versucht ein Mädchen aus einem Badehaus für Götter und Geister zu entkommen: Ein (alb-)traumhaftes Reich, dessen Gestalten sich nicht eindeutig in Feinde und Verbündete einteilen lassen. So wie die Kategorien Gut und Böse in Ghibli-Filmen oft von einer komplexeren Wahrheit verdrängt werden: Die Natur ist zwiespältig, das Leben voller Widersprüche.

Ein Happy End bedeutet hier meist keinen endgültigen Sieg, sondern die Wiederherstellung einer Harmonie. Ghibli-Filme stecken voller animistischer Ideen und Shinto-Symbole, doch sie setzen auch auf europäische Settings und Vorlagen: Wenn die quirlige junge Hexe in „Kikis kleiner Lieferservice“ Baguettes austrägt oder die vierjährige Mei in „Mein Nachbar Totoro“ langohrigen Waldgeistern durch ein Erdloch folgt wie Lewis Carrolls Alice dem weißen Kaninchen.

Am Ende wird es oft melancholisch, davor lassen diese Filme Raum für Geheimnisse und Zeit zum Staunen, auch ein bisschen zum Fürchten. Die Natur ist hier stets magisch aufgeladen, in den Stuben lauern schwarze Rußmännchen, am Himmel schweben stolze Städte. Manche Filme sind deutliche Mahnungen für Umweltschutz („Prinzessin Mononoke“), viele verzücken ästhetisch („Die Legende der Prinzessin Kaguya“ ist ein Märchen aus Tusche und Aquarell) – und immer wieder ist da der Traum vom Fliegen: Luftschiffe, Piraten auf Düsen-Streitwagen, ein Fahrrad mit Propellern.

Von „Heidi“ zu „Totoro“

Hayao Miyazaki, der maßgebliche Ghibli-Kopf, ist das Kind eines Flugzeugbauers. In den 70ern entwickelte er die Animeserie „Heidi“ mit, 1985 gründete er das Studio Ghibli, das bis heute auf Handzeichnung setzt. Aus dem Ruhestand meldet sich der 79-Jährige regelmäßig mit neuen Ideen zurück – und sei es nur für sein Ghibli-Museum, das mitten in einem Tokioter Park wie ein Knusperhäuschen lockt. Es ist die bauliche Manifestation der wundersamen Ghibli-Welt, bunt, verwinkelt, mit ausgestellten Filmskizzen, einem Skulpturengarten und einem Spielplatz aus Plüsch: Wer hier müde wird, steigt einfach in den Katzenbus.

Netflix. Die Studio-Ghibli-Filme erscheinen in drei Tranchen, die nächsten kommen am 1. März und 1. April.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.02.2020)

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