Blumen vor die Füße werfen, eine Rede zerreißen: Symbolische Gesten schaffen es oft in die Geschichtsbücher. Warum wirken sie so stark?
Sag es durch die Blume: Die thüringische Linken-Chefin geht auf den FDP-Kollegen zu, der sich soeben mithilfe der AfD zum Ministerpräsidenten hat küren lassen. In der Hand hält Susanne Hennig einen Blumenstrauß, den sie Thomas Kemmerich vor die Beine wirft. Nicht wütend gepfeffert, sondern selbstbeherrscht fallen gelassen – ein stummer, aber in der Prägnanz der Geste ungemein beredter Protest. Er machte aus der überregional Unbekannten eine Heldin der medialen Öffentlichkeit: Sie habe als einzige in der tabubrechenden Farce Haltung bewiesen. Aber es gab auch kritische Stimmen: Der Landtag verkomme so zum Kindergarten, sie missachte die Demokratie.
Ähnliche Reaktionen erntete Nancy Pelosi, die als Hausherrin im Kongress nach Präsident Trumps Rede zur Lage der Nation schwungvoll ihre Kopie des Manuskripts zerriss. „Das war das Höflichste, was ich tun konnte“, meinte sie später. Aber selbst Parteifreunde fürchten, sie habe damit den Gegnern Material für Wahlkampf-Spots geliefert. Wehmütig erinnern sie sich an einen subtileren Akt der Verachtung: ihr kunstvoll abschätziger Applaus im Vorjahr zum gleichen Anlass.
Blumen vor die Füße, Rede in Fetzen: Solche Bilder bleiben im Gedächtnis eingebrannt, wenn die vielen Worte um sie herum längst verhallt sind. Aber die symbolische Geste wirkt nur, wenn Balancen gewahrt bleiben: zwischen dem Spontanen und der Inszenierung, dem befreienden Aus-der-Rolle-Fallen und dem Wahren der Würde. Im besten Fall sichern sich Politiker damit den Eintrag in die Geschichtsbücher. Wie Willy Brandt, der 1970 vor dem Ehrenmal für die Toten des Warschauer Ghettos nicht einfach den Kopf neigte, sondern überraschend auf die Knie sank. So bat ein Kanzler um Vergebung, der selbst ohne Schuld war, also für Deutschland kniete – was seine Landsleute nicht gleich zu schätzen wussten: Eine Mehrheit hielt die Geste der Demut für einen übertriebenen Kotau.