Polen

Krakaus alte neue Viertel

Christiane Reitshammer
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Ein riesiger mittelalterlicher Platz, viel historische Substanz und lange jüdische Geschichte: Krakau, Polens zweitgrößte Stadt ist ein Ziel für Kultur- und Geschichte-Interessierte. Dazwischen mischen sich genussfreudige Städtereisende.

Besucher von Krakau können sich das nur schwer vorstellen, aber: „Der Hauptmarkt war früher finster, es war nichts los und man hatte Angst, am Abend durchzugehen“, erzählt Sylwia Jeruzal, Fremdenführerin in der polnischen Stadt. An einem lauschigen Abend herrscht am Hauptmarktplatz (Rynek Glowny), mit einem Ausmaß von 200 Meter mal 200 Meter einer der größten mittelalterlichen Plätze Europas, heutzutage immenser Trubel, dafür sorgen jährlich Millionen von Besuchern aus Polen und der ganzen Welt. Sie bummeln über den feudalen Platz, sitzen in den Gastgärten der unzähligen Lokale. Sie bewundern den Rathausturm, die kleine St.-Adalbert-Kirche, die Marienkirche mit den zwei Türmen, wobei von einem davon stündlich ein Trompetensignal abgeschickt wird, sie inspizieren die Tuchhallen im Renaissance-Stil, einst Handelsplatz für kostbare „Tuchen“, heute Umschlagplatz für polnische Souvenirs, oder fahren mit Pferdekutschen. Findet auch noch der Kunstmarkt oder das Pierogi-Festival (letzteres im August), das die Spezialität des Landes in allen Formen hochleben lässt, statt, ist für zusätzliche Attraktionen gesorgt.

Zweitälteste Universität

Die Altstadt der zweitgrößten Stadt Polens wurde im zweiten Weltkrieg von Zerstörungen verschont und ist (mit dem Wawelhügel, Königsschloss und Kathedrale sowie dem Stadtteil Kazimierz) auch wirklich schön anzusehen. Seit 1978 ist sie als Unesco-Welterbestätte gelistet. Aber es gibt sie immer noch, die ruhigeren Ecken. Sylwia führt Interessierte auch gerne dorthin, durch die kleinen Gassen, Innenhöfe, Durchgänge und Parks, auch zur Jagiellonenuniversität, 1364 gegründet, mit dem gotischen Collegium Maius und dem neugotischen Collegium Novum. Sie ist die zweitälteste Universität in Mitteleuropa (nach Prag), an der schon Nikolaus Kopernikus und Papst Johannes Paul II. studiert haben. Ein prächtiger Flur führt auch in den stillen Professorengarten, in dem sich während des Semesters gerne Studenten aufhalten. Begeistert zeigt die Kunsthistorikerin auch die Franziskanerkirche, Basilika aus dem 13. Jahrhundert, die bemerkenswerte Glasfenster des Jugendstils von Stanislaw Wyspiański aufweist, oder die Marienkirche, ebenfalls aus dem 13. Jahrhundert, die mit ihrer glanzvollen Ausstattung auf den damaligen enormen Reichtum der Stadt hinweist. Kostbarkeiten sind dabei der Hochaltar und die Christusfigur von Bildhauer Veit Stoß. „Die Figur und das Kreuz sind aus nur einem Stein gemeißelt. Eine Meisterleistung – und dabei hat Stoß Bildhauerei nicht einmal studiert.“

Krakau steht nicht still. „Krakau war eine Zeit lang Partystadt, vor allem für Leute aus Großbritannien, aber das hat sich wieder geändert, wie sich auch die Viertel ständig entwickeln. Teile, die nicht so beliebt waren, werden aufgewertet, und dann geht die Entwicklung im nächsten Viertel weiter“, schildert Sylwia, die seit 23 Jahren als Guide arbeitet. War die Altstadt früher eine No Go-Area, war es der Stadtteil Kazimierz noch viel mehr. Das ehemalige jüdische Stadtviertel war nach dem Krieg zusehends verfallen. Nur wenige Menschen wohnten hier, für viele war es schlicht zu gefährlich.

Dunkelste Geschichte

Bis 1800 war Kazimierz eine eigene Stadt mit jüdischer Bevölkerung. Vor dem 2. Weltkrieg und dem Holocaust lebten in Krakau etwa 65.000 Juden, größtenteils in den Vierteln Kazimierz und Podgórze. Mit der deutschen Besetzung wurden die Juden nicht nur nach und nach in ein eigens errichtetes Ghetto in Podgórze umgesiedelt, sondern anschließend auch fast alle in Konzentrationslager deportiert und ermordet. Erst der mit dem Oscar ausgezeichnete Holocaust-Film „Schindlers Liste“ von Steven Spielberg brachte wieder Aufmerksamkeit in das Viertel, da einige Szenen hier gedreht worden waren. Inzwischen wurden viele Gebäude renoviert, Künstler und Geschäftstreibende sind zurückgekehrt, nicht nur sie: „In den  vergangenen 20 Jahren ist wieder verstärkt jüdisches Leben eingezogen“, erklärt Sylwia. Offizielle Zahlen gibt es nicht, etwa 700 Mitglieder verzeichnet das Jüdische Gemeindezentrum (JCC), insgesamt dürften es mehr sein. „Viele Leute wissen gar nicht, dass sie jüdische Wurzeln haben“, erklärt Sylwia.

Auf den Plätzen und in den Gassen ist viel los, oft störend, wenn auch praktisch für Besucher, sind die Golf-Caddy-ähnlichen Fahrzeuge, mit denen Touristen mehrsprachig herumgeführt werden. Die Museen, Synagogen und der Friedhof, die Innenhöfe der Jahrhunderte alten Häuser sind Anziehungspunkt der internationalen Gäste, die an jüdischer Kultur interessiert sind – oder zumindest das hippe Flair und die zahlreichen Lokale, netten Design-Geschäfte und Galerien sowie moderne Street Art genießen möchten. „Ende Juni/Anfang Juli findet das Festival der jüdischen Kultur statt und lockt Besucher aus aller Welt an.“

Christiane Reitshammer

Ruhig ist es hingegen im Remuh Friedhof, wo nicht nur renovierte Gräber, sondern auch die aus Bruchstücken von Grabsteinen gebaute Klagemauer interessant sind. Außerdem befindet sich hier das Grab des Rabbiners Moses Iserles, das viele jüdische Pilger anzieht. Richtig beschaulich ist der 200 Jahre alte „Neue Friedhof“ Rakowicki, etwas außerhalb des Zentrums von Kazimierz.

Neues auf der anderen Seite

Kazimierz bekommt Konkurrenz, nämlich auf der anderen Seite der Weichsel, über mehrere Brücken, wie etwa mit dem kunstvollen Vater Bernatka Holzsteg, erreichbar. „Das nächste Trendviertel ist Podgórze“, sagt Sylwia. Hier entstehen immer mehr neue Lokale, oft Dependancen von denen in Kazimierz. Auch wenn Atmosphäre und Aufbruchstimmung von den Einwohnern geschätzt werden – Gastronomie wird hauptsächlich von Touristen besucht: „Für uns ist Essen gehen oft zu teuer. Wir gehen lieber tanzen!“

Christiane Reitshammer

Architektonisch interessant ist die Cricoteka, Dokumentationszentrum für die Kunst von Tadeusz Kantor, direkt am Fluss. Viele Besucher begeben sich aber auch hier auf die Spuren jüdischer Vergangenheit, etwa auf dem Bohaterów-Getta Platz, von dem aus die Deportationen in die KZ stattfanden und an dem eine Installation mit leeren Stühlen aus Eisen und Bronze erinnert, oder mehrere Plätze, wo noch Mauerreste des ehemaligen Ghettos zu finden sind.

Magnet mit täglich 1200 Besuchern, ist zudem die einstige Emaille-Fabrik von Oskar Schindler. Die Fabrik wurde 1937 gegründet und stand später unter dessen Geschäftsführung. Schindler beschäftigte 1100 Juden und rettete ihnen so das Leben. Das Museum auf dem einstigen Fabriksgelände vermittelt die Geschichte Krakaus von 1939 bis 1945. Es zeigt zwar Schindlers Arbeitszimmer, viel mehr stehen aber die Schicksale der Einwohner insbesondere der Juden, deren Verfolgung und Vernichtung, im Fokus der Ausstellung, die sehr nahe geht. Gleich nebenan wurde 2011 auf dem Fabriksgelände das Museum für Gegenwartskunst (Mocak) eröffnet. Es zeigt Sammlungen von polnischen und internationalen Künstlern und Ausstellungen zu sozialkritischen, politischen Themen. Veränderungen gehören auch hier dazu.

ZEITREISE DURCH KRAKAU

Besuchen: Emaillefabrik von Oskar Schindler, unbedingt reservieren, Führung empfehlenswert, www.mhk.pl

Museum für Gegenwartskunst (MOCAK), www.mocak.com.pl

KZ Auschwitz-Birkenau: 1,5 Stunden von Krakau entfernt befindet sich das ehemalige Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau, das größte Vernichtungslager während der NS-Zeit. Erst im Jänner fanden Feierlichkeiten zum Gedenken an die Befreiung vor 75 Jahren statt. Eine Besichtigungstour führt nach Auschwitz I (Stammlager) und Auschwitz II-Birkenau (Vernichtungslager), heute Gedenkstätte, Museum und Forschungszen- trum. Führung empfehlenswert, Dauer inkl. Anfahrt mind. 7 Stunden; unbedingt Tickets vorreservieren! auschwitz-besucher.info, visit.auschwitz.org

Unterkunft: Puro Kraków Kazimierz: Designhotel in Kazimierz, purohotel.pl

Essen/Trinken: „Szara Gęś w Kuchni“: elegantes Restaurant mit gehobener Küche am Hauptmarkt, szarages.com

Bistro Bazaar: modern, internationale Küche in Kazimierz, bazaarbistro.pl

Sticky Fingers & Stalowe Magnolie: Pizza, Gegrilltes, Live-Musik, in der Altstadt, stickyfingers.com.pl

Singer: beliebte Bar am Abend in Kazimierz, singer.com

Anreise: mit ÖBB ab Wien direkt

Tour mit Sylwia Jeruzal, Fremdenführerin, Kunsthistorikerin, jers11@op.pl

Infos:krakow.pl, polen.travel

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.02.2020)

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