Dänemark

Kopenhagen: Mitschwimmen im Rad-Strom

(c) Ty Stange
  • Drucken

Es muss nicht immer Südsee sein. An der Ostsee liegt die Stadt mit sehr hoher Lebensqualität, einem der weltweit besten Radwegenetze und kleinsten Sights.

Kurz vor der Landung am Airport Kastrup schwebt das Flugzeug elegant am Offshore-Windradpark  Lillgrund vorbei und die Passagiere der linken Sitzreihen dürfen einen minutenlangen Blick auf die berühmte Öresund-Brücke werfen. Ihren Ruhm hat „die Brücke“, die Dänemark und Schweden verbindet, nicht nur der gleichnamigen Thriller-Serie zu verdanken, sondern ihrer einzigartigen Architektur, einer Kombination aus Schrägseilkonstruktion und Tunnel. Tatsächlich erkennt man aus der Vogelperspektive die künstliche Insel Peberholm (Pfefferinsel), die die vierspurige Fahrbahn und das darunterliegende Bahngleis zu verschlucken scheint, bevor diese kurz vor Malmö aus dem Unterwassertunnel wieder an Land gespuckt werden.

A propos Verkehr: Das wichtigste Fortbewegungsmittel in Kopenhagen ist das Fahrrad, mehr als die Hälfte der Bevölkerung pendelt täglich damit zur Arbeit, zur Ausbildung, nachhause. Auch wenn der Verzicht auf das Auto nur einen kleinen Beitrag in Richtung CO2–Neutralität darstellt, ist der akustische Gewinn groß: Der Lärmpegel liegt so weit unten, dass man meinen könnte, es sei jeden Tag Sonntag.

Smørrebrød und die Kunst der Dänen, Brote toll zu belegen.
Smørrebrød und die Kunst der Dänen, Brote toll zu belegen.(c) Visit Denmark

Eine leichte Brise weht am Fluss und entlang der zahlreichen Kanäle, während unsere E-Bikes über breite, leuchtend markierte Radwege durch die Stadt rollen. Wenn nicht hier, wo dann? Radfahren gehört in Kopenhagen zum Lifestyle. Seit den siebziger Jahren hat sich das Radwegnetz dank visionärer Stadtplaner und gezielter Förderungen verdoppelt. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung bewegt sich auf Rädern.

Gemütlich an der Uferkante

Mit der App finden wir schnell die nächstliegende Mietstation – und zwar auf dem Radhuspladsen – und fügen uns in den Fahrradstrom der Einheimischen mühelos ein. Die spätnachmittägliche Sonne wirft ein fantastisches Licht auf die bunten Häuserfassaden von Nyhaven. „Das blaue Giebelhaus auf Nummer neun ist das älteste“, hören wir eine Reiseleiterin im Vorbeibeifahren erklären; sie hat mit ihrer Radgruppe gerade einen Foto-Stopp eingelegt. Die Terrassen der Cafés und Restaurants hier sind voll. Zumeist sind es Touristen, die diesen geschichtsträchtigen Ort im Zentrum Kopenhagens aufsuchen. Eine Gruppe junger Locals weicht aufgrund von Sitzplatzmangel auf eine Picknickdecke auf den bleibenden Quadratmetern Uferkante aus, um den Feierabend mit Freunden direkt am Wasser zu verbringen. Fahrradtechnisch ein Balanceakt, hier voranzukommen.

Kim Wyon

Wir wechseln die Perspektive und überqueren die Inderhavnsbroen, die durch ihre kuriose Bauart, nämlich in einem steilen Bogen abfallend, auch größere Schiffe durchlässt. Trotz regem Fahrrad- und Fußgängerverkehr in beide Richtungen lohnt es sich auf dem höchsten Punkt der Brücke kurz Halt zu machen. Ein idealer Aussichtspunkt: Am rechten Ufer wirft  die moderne Architektur der königlichen Oper ihr Spiegelbild in den tiefblauen Kanal. Am linken Ufer, an der Ecke zum Nyhavn, steht ein altehrwürdiges Backsteingebäude aus dem 19. Jahrhundert, in dem das luxuriöse „71 Nyhavn Hotel“ untergebracht ist.

Dansk Design, nordische Architektur

Heute ist Shopping-Tag, aber davor sollten wir noch ein Foto von der kleinen Meerjungfrau posten. Die wichtigsten Sehenswürdigkeiten im Zentrum haben wir zumindest schon von außen gesehen und radeln mit GPS-Unterstützung über den Schlossgarten von Christiansborg und vorbei an der königlichen Stadtresidenz Schloss Amalienborg, dem miniaturhaften Wahrzeichen entgegen. An der Waterfront von Amliehaven steigen wir von unseren E-Bikes. Gegenüber steht das Opernhaus, ein außergewöhnlicher Bau des dänischen Architekt Hennig Larsen, der hier ein spektakuläres Denkmal ans Wasser gesetzt hat. Er ist einer von vielen Beispielen wegweisender Architektur aus Dänemark. Auch der Kontrast von moderner Baukunst und den traditionellen roten Ziegelfassaden übt eine besondere Faszination auf die Besucher Kopenhagens aus, nicht nur auf Architektur- und Design-Interessierte.

In der Hoffnung, in dem Viertel rund um das „Design Museum Danmark“ auch eine entsprechende Konzentration von tollen Designshops zu finden, drehen wir dem Öresund den Rücken zu. Egal, ob Bekleidung, Stoffe oder Möbel: „Das dänische Design hat – wie unsere Politik – nie eine Revolution erlebt, sondern eine graduelle Evolution“, beschreibt Christian Holmsted Oleson, Kurator des dänischen Designmuseums. Die Schau liefert den Beweis dazu, vieles ist schlicht, funktionell und in unseren Alltag eingesickert.

Wer sich nach all den Ausstellungsstücken aus verschiedenen Epochen noch mehr für Design und Kunstgewerbe interessiert, kann hier in der größten Spezialbibliothek Skandinaviens den Rest des Aufenthaltes verbringen. Für Touristen mit weniger Zeitbudget empfiehlt sich aber eher der Besuch eines Interior-Shops wie etwa „Illums Bolighus“ in der Fußgängerzone. Auch wenn man nicht danach sucht, findet man es. Die Auslagen sind  immer aufwendig dekoriert und für „Sale“ diesmal ganz in Rot gehalten. Sogar die Tagliatelle im roten Kitchen Aid sind rot. Sonst weist die goldene Inschrift über dem Portal „by appointement to her Majesty the Queen of Denmark“ auf das exklusive Kaufhaus hin.

Design-Idee: „The Krane“, Nachnutzung eines Hafenkrans.
Design-Idee: „The Krane“, Nachnutzung eines Hafenkrans.(c) the Krane

Die Alltagskultur der Gemütlichkeit

Der einstige Kaufmannshafen „Kobenhavn“ hat sich im vergangenen Jahrhundert zu einer der modernsten europäischen Metropolen mit höchster Lebensqualität entwickelt. Klein, aber fein breitet sich die Stadt auf mehreren Inseln aus, profitiert vom Wasser und der frischen Luft. Wenn  man sich dann auch noch von der entspannten Lebenseinstellung der Dänen (und ihrem Sinn für „Hygge“, für Gemütlichkeit) anstecken lässt, kann man eine Portion positives Lebensgefühl mit nach Hause nehmen. Das geht sich sogar im Handgepäck aus.

In den Sommermonaten ist die Hygge-Stimmung auf dem Höhepunkt: Auf den Holzterrassen rund um Christianshavn und dem Kulturzentrum „Nordatlantens Brygge“ herrscht Hochsaison. Hier trifft sich alles was in Kopenhagen Rang und Namen hat, das lässt sich an den großen Yachten ablesen. Der Gronlanske Handels Plads und der Kroyers Plads bilden eine Art Partymeile auf der Insel Bjornholm. Derselbe Ort war vor zweihundert Jahren das Zentrum des dänischen Handels mit den Färöer Inseln, Island und Grönland.

Zu dieser Zeit entstand auch der mächtige Speicherbau des Nordatlantens Brygge, der seit 2003 diese Kulturen mit Kunstausstellungen und Kulturevents in den Fokus stellt. Schwimmen könnte man auch am Strand oder im Hafenbad, aber hier ist es gerade so gemütlich. Wir entscheiden uns spontan für eine Holzpalette und tauchen ein in diese Art Strandatmosphäre mitten in der Stadt, während Segelschiffe dahingleiten, Paddelboote und Stand-up-Paddler vorbeipflügen.

Kunst-Ausflug ins Louisiana

Ein leichter Muskelkater in den Wadeln macht sich bemerkbar. Also werden wir die fünfunddreißig Kilometer bis Humlebaek, nördlich von Kopenhagen, doch lieber mit dem Zug bewältigen. Unsere Daten bleiben schließlich bis auf weiteres im „bycyklen account“ gespeichert, sodass wir uns jederzeit an einer der hundert Stationen ein neues E-Bike ausborgen können.

Normalerweise eignen sich Regentage für einen Museumsbesuch. Hinsichtlich des Louisiana Museum of Modern Art ist das anders. Die traumhafte Lage direkt am Meer, inmitten einer weitläufigen Parklandschaft mit uraltem Baumbestand und großartigen Plastiken wirkt besonders attraktiv bei strahlendem Sonnenlicht. „Welche Ausstellung gefällt ihnen am besten?“, fragt ein älterer Herr am Nebentisch. Er feiert mit seiner Familie im Louisiana heute seinen achtzigsten Geburtstag und ist ebenfalls von Kopenhagen angereist. Die Enkelkinder finden zwischen den modernen Skulpturen im Grünen neue Freunde, die ihre Neugier für Materialien und Formen wecken, während die Eltern Smørrebrød und die Aussicht genießen. Ein kunstvoll schmaler Pfad führt bis zum Strand und wieder zurück zum Hauptgebäude. „Ich baue es und sie werden kommen“, meinte Knud W. Jensen 1958. Und der Kunstsammler und Gründer des Museums hatte Recht behalten.

Citytrip Kopenhagen

Übernachten: „Citizen M“: leistbarer Komfort, modernes Design, www.citizenm.com

„The Krane“: lässig residieren im Hafenkran, https://thekrane.dk

„71 Nyhavnhotel“: beste Lage, originelles Ambiente/altes Lagerhaus, exklusiv, www.71nyhavnhotel.com

„Danhostel Copenhagen City“: günstig, https://danhostelcopenhagencity.dk

„Sleep in Heaven“: Hostel, www.sleepinheaven.com

Leihräder: Bycyklen, https://bycyklen.dk/en

Anschauen: Design Museum Dansk (https://designmuseum.dk); Louisiana Museum of Modern Art (www.louisiana.dk)

Infos: www.visitdenmark.dewww.visitcopenhagen.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.02.2020)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Ein Stück lang kann man den beschaulichen Mariagerfjord mit der Museumseisenbahn entlangfahren. Die Mariager-Handest-Veteranjernbane verkehrt von Juni bis Oktober.
Europa

Auf Schiene und Schwan am Mariagerfjord

43 Kilometer misst Dänemarks schönster Fjord, der Abschnitt von Hobro bis zum Kattegat. Aus der Sicht der Badegäste, Kanuten und Angler – sowie aus der von Nostalgikern, die mit Raddampfer und Dampfeisenbahn fahren.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.