Mit Reality-TV zur Selbstheilung: Eine Serie als Gesundheitsrisiko

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Die Netflix-Serie “The Goop Lab” folgt Gwyneth Paltrow und dem Team ihrer Lifestylemarke, wie sie Magic Mushrooms nehmen und Angstzustände durch Hyperventilieren heilen wollen. Nun gibt es offizielle Warnungen.

Für Simon Stevens, Geschäftsführer des staatlichen Gesundheitsservices in England (NHS), stellt Gwyneth Paltrows neue Netflix-Serie „ein erhebliches Gesundheitsrisiko“ für die Öffentlichkeit dar. Er wirft Goop Fehlinformation vor und warnt, dass gerade der Gesundheitsbereich ein Nährboden für Quacksalber und Scharlatane sei.

Netflix hat auf die Vorwürfe noch nicht reagiert. Gwyneth Paltrow antwortete in einem kürzlich erschienenen Interview auf die Frage nach Goops Rolle in der Verbreitung von fragwürdigen Gesundheitstipps: „Wir denken, dass das alles nur Clickbait und Blödsinn ist.“ Medien würden sie kritisieren, um Leser anzulocken. Und wenn sie das Wort „pseudowissenschaftlich“ im Zusammenhang mit Goop nennen, mache das die Schauspielerin „verrückt“.

Eine andere Bezeichnung als „pseudowissenschaftlich“ ist aber nicht möglich. Das Setting: Ein zuckerlfarbenes Ambiente, lockere Atmosphäre,  Wissenschaftlerinnen und Ärzte sind vor Ort. Vorgestellt werden auch Studien, die den Zuseher von den befremdlichen Therapien, Heilern und Drogen, denen Gwyneth Paltrow – aus welchen Gründen auch immer – anhängt, überzeugen sollen.

Unglaubwürdige Studien

Neben der offensichtlichen Absurdität machen auch Details stutzig. Der Arzt, der sein Hemd zwei bis drei Knöpfe zu weit geöffnet hat, damit man seine Halskette sehen kann - Moment, ist das ein Haifischzahn, der daran hängt? Oder die Studie, die beweisen soll, dass Kontaktaufnahme mit dem Jenseits möglich ist. Hier waren fünf Probanden beteiligt? Und die Wissenschaftlerin hat das Research Center selbst gegründet?

Was jedoch unter die Haut geht, sind in jeder Folge kurze Einspieler von sogenannten “Fallstudien”. Normale Menschen, die aus schwierigen Situationen kommen und teilweise unter Tränen von ihren Erfolgen mit dieser oder jener Methode berichten. In ihrem Leid wirken sie glaubwürdig.

MDMA gegen die Angst

Wie etwa der der junge Soldat Jon, der einen Angriff im Irak überlebt, später an einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet und sich mehrmals versucht umzubringen. Er nimmt an einer Studie mit der psychodelischen Droge MDMA teil. Das ermöglicht ihm, so erzählt er, über sein Trauma zu sprechen, ohne Panikanfälle zu bekommen. “Dank dieser Therapie hat mein Stiefsohn einen Vater.” Oder die Onkologin Yuliya, die glaubt, dass schnelles Atmen und eiskaltes Duschen ihr hilft, mit dem Tod ihrer Patienten umzugehen.

Diese Fallstudien treffen den Zuseher auf einer emotionalen Ebene - man ertappt sich dabei, seine gesunde Dosis Reality-TV-Experimente-Skepsis für einen kurzen Moment zu vergessen. Und schon wird der nächste Blödsinn vorgestellt. 

Wir lernen einen Biowissenschaftler kennen, der sich mit dem Altern beschäftigt und eine Fastendiät entwickelt hat, die den Körper verjüngt. Um nur 250 Dollar bekommt man sein fünftägiges Diät-Kit, das dem Körper nicht mehr als 800 Kalorien täglich zuführt. Es besteht hauptsächlich aus Trockensuppen und Riegeln.

(c) APA/AFP/GETTY IMAGES/Rachel Murray (Rachel Murray)

Wenn Gwyneth Paltrow errötet

Eine Ausnahme auf diesem Eso-Trip ist jedoch Folge 3. Sexualtherapeutin Betty Dodson, betreut seit den 70er Jahren Frauen. Sie spricht mit Gwyneth Paltrow über die weibliche Sexualität, ihre Orgasmus-Workshops und über die Vulva. Für Paltrow und ihr Multimillionen-Dollar-Unternehmen ein Thema, das in großem Stil ausgeschlachtet wird (ihre 75-Dollar-Kerze “Smells like my Vagina” ist ausverkauft). 

Umso interessanter ist es zu sehen, dass Paltrow den Unterschied zwischen Vulva und Vagina nicht kennt. Die 90-jährige, ausgesprochen jugendlich wirkende Sexualtherapeutin gibt als Leitspruch “You have to run the fuck“ aus. Also: Frau müsse lernen, den Sexualakt zu lenken. Und diesen Satz auch aussprechen können. Paltrow versucht es zögernd und wird knallrot, was in der Runde nicht unbemerkt bleibt. Ein Sinnbild der Absurdität der Serie.

Um „Unterhaltung und Information“ geht es Netflix, wie ein Hinweis vor jeder Folge versichert. Dass es sich bei dieser Serie, seit 24. Jänner auch hierzulande zu streamen, eigentlich um zielgruppenorientierte Werbung für Paltrows 250-Millionen-Dollar-Unternehmen handelt, ist schwer zu übersehen.

>> BBC-Bericht zu NHS 
>> Interview mit Gwyneth Paltrow

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