Gegengift

Aber jetzt zerreiß ich's, dieses billige Machwerk aus Papier!

Darf man Aschermittwochsreden, Fastenpredigten oder salbungsvolle Neujahrsbotschaften lustvoll zerfetzen? Es geht leicht von der Hand.

Als die Sport-, Spiel- und Freizeitklubs des Gegengiftes noch richtig jung und pubertär waren, gab es einen Heumarkt-Ringer, dem zumindest fast alle Buben nacheiferten: Der Steirer Otto Wanz, dessen Blut kein Himbeersaft war, wurde zur Legende, als er im Fernsehen die dicksten Telefonbücher in der Mitte auseinanderriss. Ratsch! Schon war Wien von A bis H eine geteilte Stadt. Er konnte gut drei Dutzend dieser Wälzer pro Minute zerfetzen.
Wir wollten das damals auch alle können. Doch nicht einmal das burgenländische Telefonbuch hat selbst der Stärkste unter uns geschafft. Für die jüngeren unter den Leserinnen und Lesern: Ein Telefonbuch war ein Druckwerk aus billigem Papier, in dem (bis auf anonyme Ausnahmen) Namen, Nummern und Adressen (!) aller Fernsprecher*Innen eines Bundeslandes verzeichnet waren. Da kamen bei einer bevölkerungsreichen und modernen Metropole schon sehr viele Seiten zusammen.

An Otto Wanz musste ich denken, als unlängst Donald Trumps Rede an die Nation ausgestrahlt wurde. Kaum hatte dieser stets auf Wahlkampf-Modus geschaltete Immobilenhai, Republikaner und US-Präsident den elendig langen Preisgesang auf sich selbst samt Häme für politische Gegner beendet, zerriss die hinter ihm stehende Demokratin Nancy Pelosi ein dünnes Manuskript. Es soll eine Kopie der ganzen Rede an die halbe Nation gewesen sein. Die Aktion der Sprecherin des Repräsentantenhauses war nicht so bullig wie die eines Kraftlackels aus den Alpen, aber sie wirkte spektakulär. Ganz systematisch ging Pelosi vor, obwohl es den Anschein hatte, als tränte sie dabei fast.

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