Die Kanzlerin entlässt ihren Ostbeauftragten wegen eines Tweets zu Thüringen. Das besänftigt auch den Koalitionspartner SPD. In Erfurt tritt indes der mit den Stimmen der AfD gewählte Ministerpräsident nun doch sofort zurück.
Das Krisentreffen der Spitze von CDU, CSU und SPD, der sogenannte Koalitionsausschuss, hatte noch nicht begonnen, da sorgte Kanzlerin Angela Merkel dafür, dass ihre Regierung an diesem Samstag nicht wackeln würde. Nicht schon wieder. Als erste Amtshandlung nach ihrer Rückkehr von einer Afrika-Reise feuerte die Kanzlerin den Ostbeauftragten der Bundesregierung, Christian Hirte. Also genauer: Sie bat den Bundespräsidenten um Hirtes Entlassung. Hirte selbst formulierte das am Samstag auf Twitter so: „Frau Bundeskanzlerin Merkel hat mir in einem Gespräch mitgeteilt, dass ich nicht mehr Beauftragter der Bundesregierung für die Neuen Länder sein kann.“ Er habe daraufhin auch selbst um seine Entlassung gebeten.
Den Grund für Hirtes Rücktritt kann man auch auf Twitter nachlesen. Der Thüringer hatte dort am Mittwoch FDP-Mann Thomas Kemmerich „herzlich“ zur Wahl als Ministerpräsident gratuliert. „Deine Wahl als Kandidat der Mitte zeigt noch einmal, dass die Thüringer Rot-Rot-Grün abgewählt haben.“ Kemmerich war von FDP, CDU und als erster Ministerpräsident überhaupt auch mit den Stimmen der AfD um Rechtsaußen Björn Höcke ins Amt gehievt worden. Die Kanzlerin nannte diesen Vorgang am Donnerstag „unverzeihlich“. Spätestens jetzt musste Hirte gedämmert haben, dass es für ihn eng werden könnte.
Die Kanzlerin mag mit der Entlassung aus Überzeugung gehandelt haben, ganz sicher half Hirtes Rückzug aber auch, den Koalitionspartner SPD zu besänftigen. Das neue linke SPD-Führungsduo aus Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, in den ersten Wochen noch überraschend handzahm, hatte die Krise in Thüringen genutzt, um eine Drohung nach der anderen gegen den Regierungspartner auszusprechen. Auch Hirtes Rücktritt wurde vehement gefordert. „Für uns wäre sein Verbleib im Amt nicht tragbar gewesen“, erklärte Esken am Samstag.
Aber zum Entfachen einer Regierungskrise in Berlin taugte Thüringen dann doch nicht, weil Merkel und CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer keinen Anlass boten, von Anfang an auf größte Distanz zum Erfurter Tabubruch gingen.
Versöhnliches Ende
Und so endete auch der Krisengipfel am Samstag im Kanzleramt ganz versöhnlich. CDU, CSU und SPD versicherten sich gegenseitig, dass es keine Zusammenarbeit mit der AfD gibt, egal auf welcher Ebene. Man verlangte in einem Beschlusspapier die Wahl eines neuen Ministerpräsidenten in Thüringen, der aber nur übergangsmäßig im Amt sein soll. Denn, und das ist der wichtigste Punkt: Schwarz-Rot fordert baldige Neuwahlen in Thüringen. Die CDU-Führung in Berlin muss dazu aber Überzeugungsarbeit in den eigenen Reihen leisten. Nach „Presse“-Informationen aus der Thüringer CDU-Fraktion war man dort zumindest noch am Freitagabend wild entschlossen, Neuwahlen mit aller Kraft zu verhindern. Schon am Donnerstag hatte Kramp-Karrenbauer vor Ort vergeblich auf Neuwahlen gedrängt. Denn einer Umfrage zufolge würde die CDU in Thüringen von 22 auf zwölf Prozent abstürzen. Kaum ein Mandat wäre sicher.
Der FDP, 2019 nur hauchdünn in den Landtag eingezogen, würde gar die außerparlamentarische Opposition drohen. Trotzdem hat Kemmerich schon am Donnerstag seinen Rücktritt angekündigt und für Neuwahlen plädiert. Am Samstag erklärte er dann seinen „sofortigen Rücktritt“. Das ging dann schneller als geplant. Auf die Bezüge, fast 100.000 Euro, will er verzichten. Im Amt bleibt Kemmerich aber auch jetzt, geschäftsführend.
Die „Katastrophe“ von Thüringen, wie das FDP-Chef Christian Lindner inzwischen nennt, dürfte den Liberalen auf Bundesebene massiv geschadet haben. In einer aktuellen Forsa-Umfrage stürzte die FDP von neun auf fünf Prozent ab. Zweiter großer Verlierer: Die AfD, die nach ihrer Erfurter Finte in die Einstelligkeit (9 Prozent) abrutschte.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.02.2020)