Die guten und schlechten Seiten von „The Witcher“

Henry Cavill ist jetzt nicht mehr Superman, er ist der "Witcher"  Geralt of Rivia
Henry Cavill ist jetzt nicht mehr Superman, er ist der "Witcher" Geralt of Rivia(c) Netflix (Katalin Vermes)
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Für Netflix ist „The Witcher“ ein immenser Erfolg. Wir ziehen ein Fazit: Was an der Fantasy-Serie gelungen war und was nicht.

Dieser Blogeintrag ist für Leser gedacht, die die erste Staffel von „The Witcher“ bereits gesehen haben.

Zwei Dinge kann man vorweg sagen: Erstens, das neue „Game of Thrones“ ist „The Witcher“ definitiv nicht. Dafür fehlen der Fantasy-Serie die politische Dimension und das Personal. Hier gibt es nur drei Hauptfiguren, nicht (gefühlt) 20. Und es geht weniger um Macht als ums Überleben und um Schicksal. Zweitens: Man darf sich an Geralt of Rivia (deutsche Version: Riva) gewöhnen. Netflix hat mit der Adaption von Andrzej Sapkowskis „Witcher“-Romanen und den darauf basierenden Videospielen einen der größten Erfolge seiner eigenen Geschichte gelandet. Im vergangenen Jahr nahm die Serie sogar den Spitzenplatz im österreichischen Netflix ein – und das nur knapp zwei Wochen nach ihrem Start. Auch in den USA ist sie erfolgreich, nur „Stranger Things“ wurde dort noch öfter gesehen. Das alles spricht dafür, das Netflix' Plan für „The Witcher“ aufgeht. Dieser ist auf sieben Staffeln ausgelegt. Zumindest Staffel zwei ist schon fixiert.

Wir ziehen Fazit: Was ist an der Serie gelungen – und was nicht?

Das Gute kommt zuerst:

1. „The Witcher“ ist keine Ein-Mann-Story

Besonders kritisch war beim Start der britische „Guardian“, der etwas von „toxic masculinity“ schrieb. Ja, die Serie trägt den Namen ihres Helden im Titel. Ja, Geralt of Rivia ist die Hauptfigur. Nur: Showrunnerin Lauren Schmidt hat zwei der zentralen Nebenfiguren aus den Büchern genommen und ihnen Hauptrollen gegeben: Prinzessin Cirilla (Freya Allan) und die Hexe Yennefer (Anya Chalotra). Sie kriegen fast so viel Zeit am Bildschirm wie Geralt. Dafür wurde die Rolle von Rittersporn (im Original Jaskier; gespielt von Joey Batey) reduziert. Passt auch. Besonders schön war die Frauenpower im Finale: Das verbringt Geralt zum Großteil verletzt auf einem Heuwagen liegend. Kämpfen darf dafür Yennefer.

(c) Netflix (Katalin Vermes)

2. „The Witcher“ hat Ironie

Mühelos wechselt die Serie vom genretypischen Ernst zur Ironie. Pathos und Parodie stehen hier nicht im Widerspruch zueinander. Tödliche Gefahren drohen, folgenreiche (moralische) Entscheidungen müssen getroffen werden, aber Geralt nimmt sich nicht so ernst und die Serie nimmt ihn nicht so ernst. Dieses Selbstironische funktioniert vor allem in den Dialogen sehr gut. Aus dem Humor zieht Geralt (wirklich gut dargestellt von Henry Cavill) auch seinen Charme: er hat unheimliche Augen, eine sehr gewöhnungsbedürftige Frisur und er spricht seltsam getragen. Aber er ist lustig.

3. „The Witcher“ erzählt auf mehreren Zeitebenen

Die Handlungsstränge sorgen teils für Verwirrung: Geralts Geschichte setzt ein, als die Mutter der späteren Protagonistin Ciri noch nicht einmal geboren war. Die komplexe Zeitstruktur hebt „The Witcher“ von „Game of Thrones“ ab, das mit wenigen Ausnahmen wie Rückblenden/Erinnerungen und Vorblenden/Prophezeiungen stur chronologisch erzählt war. Für „The Witcher“ eröffnen diese Zeitebenen mehr Handlungsspielraum. Schön zeigt sich das in der vorletzten (insgesamt leider schwächsten) Folge: Dem Krieg um Ciris Heimat Cintra, zu Beginn fast beiläufig gezeigt, kommt eine neue, schwerwiegendere Bedeutung zu.

4. „The Witcher“ kostet das Genre Fantasy aus

Das Genre Fantasy erlaubt Freiheit im Erzählen: Man muss man sich nicht um historische Fakten oder Gesetze der Wahrscheinlichkeit scheren, selbst Tote können wiederauferstehen. „The Witcher“ kostet diese Freiheiten aus, schlachtet mit Genuss Märchen und Mythen aus. Lässt Zombies und Elfen auftreten, verhexte Prinzessinnen und kindermordende Zauberer. Die Serie ist gleichzeitig voller Anspielungen auf die Gegenwart, erzählt von Krieg und Flucht, von Geschlechterrollen und Rassismus.

Nun die Kritik:

1. Gut und Böse

Dieser Punkt liegt in der Grauzone: Am Anfang lotet die Serie den Übergang zwischen Weiß und Schwarz aus. Egal, wie Geralt sich entscheidet, meist gibt es kein richtig oder falsch. Alles hat zwei Seiten und als wahre Monster entpuppen sich oft nicht die Fabelwesen, sondern die Menschen. In den späteren Folgen – nachdem sich Geralt und Yennefer treffen – nimmt diese Ambiguität leider ab. Schade.

2. Das Schicksal

Vom „Destiny“ hört man in jeder Folge. Das ist ein bisschen zu viel für meinen Geschmack, denn diese Überbetonung des Schicksals endet gern in Langeweile: Wenn alles vorbestimmt ist, wieso sollte mich interessieren, wie Menschen (oder Monster) zu ihren Entscheidungen kommen?

3. Die Drachen

Drachen sollten nicht aussehen wie in „The Witcher“. Wie soll man als Zuschauer glauben, dass zwei atemberaubende Kriegerinnen einem Drachen folgen, den sie für „den Schönsten“ halten, wenn der aussieht wie ein gerupftes Hendl? Nur weil er golden ist? Nein, Drache geht besser. Schaut nach bei „Game of Thrones“, „Harry Potter“ oder „Herr der Ringe“ …

4. Die Bösewichte

Bösewichte können eine Serie bereichern. Man denke an Wilson Fisk aus „Daredevil“ oder – ewig schad! – Tywin Lannister aus „Game of Thrones“. Oder aber sie sind böse, weil sie böse sind, und darum müssen die Helden sie besiegen. Nilfgaard-Oberbösewicht Cahir (Eamon Farren) und seine Hexe Fringilla (Mimi Ndiweni) fallen leider eher in zweitere Kategorie. Das Motiv, das „The Witcher“ ihnen gibt, ist dünn: Sie sind religiöse Fanatiker. Selbst Zauberer Stregobor (brrr seit „House of Cards“: Lars Mikkelsen) ist recht eindimensional. Die besten Antagonisten sind nämlich die, die im Zuseher einen inneren Konflikt auslösen, weil man ihnen – auch nur ganz, ganz wenig – gönnt, dass sie gewinnen.

5. Die Liebesgeschichte

Die Verbindung zwischen Yennefer und Geralt ist schon in den Büchern rätselhaft, auch die Serie klärt sie nicht wirklich auf. Er will sie nicht verlieren, darum sind sie ewig aneinander gebunden. Oder so. An der Spannung zwischen den beiden kann die Serie noch arbeiten.

Staffel eins von "The Witcher" ist auf Netflix zu sehen. die Dreharbeiten für Staffel zwei sollen im Frühjahr starten

Bei ihr spielt das Schicksal eine besonders wichtige Rolle: Prinzessin Cirilla (Freya Allan)
Bei ihr spielt das Schicksal eine besonders wichtige Rolle: Prinzessin Cirilla (Freya Allan)(c) Netflix (Katalin Vermes)

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