Kolumne zum Tag

Der stille Tod der Brüsseler Mittagspressekonferenz

Symbolbild.
Symbolbild.(c) REUTERS (TOBY MELVILLE)
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Es gehen nur mehr wenige Korrespondenten in den Pressesaal. Doch je weniger Journalisten, desto geringer ist die Streuung der Fragen.

Ziemlich aufgeweckt wird dieser Tage, zumindest in Österreich, über das Hintergrundgespräch berichtet, also jene berufsbedingte Begegnung zwischen Politikern und Journalisten, bei der man nie ganz sicher sein kann, wie viel von dem Gesagten tatsächlich unter dem Schutz der vereinbarten Vertraulichkeit dem besseren Verständnis durch uns dient und wie viel in Wahrheit der Manipulation.

Doch wie steht es mit der Pressekonferenz, sozusagen dem Vordergrundgespräch? Nicht gut, wenn ich aus meiner Erfahrung als Europa-Korrespondent in Brüssel berichten darf. Hier findet wochentags zur Mittagsstunde eine Pressekonferenz mit allen Sprechern der Europäischen Kommission statt. Ich fand sie bereits vor zehn Jahren, als ich erstmals in Brüssel arbeitete, ritualisiert erstarrt und oft von geringem Informationswert. Aber ich ging dennoch fast täglich hin. Denn die Fragen meiner Kollegen gaben mir ein Gefühl dafür, was anderswo in Europa die Menschen interessiert.

Dieser Restnutzen scheint mir seit meiner Rückkehr aus den USA fast völlig verschwunden. Und daran sind wir Korrespondenten schuld. Denn es gehen nur mehr wenige in den Pressesaal. Doch je weniger Journalisten, desto geringer ist die Streuung der Fragen. Und desto einfacher ist es für die Sprecher, diese zu antizipieren. Vor allem aber wird, anders als früher, kaum mehr nachgehakt, wenn ein Sprecher einen Kollegen abwimmelt. Mir scheint, dass ein Großteil von uns sich nur mehr auf unsere jeweiligen Spezialthemen konzentriert. Was sonst noch in der EU los ist, dafür scheint es an Zeit oder Interesse zu fehlen. Das finde ich fatal. Wenn wir Journalisten den Umstand vernachlässigen, dass eine Pressekonferenz nicht nur dem Sammeln von Zitaten zur Schmückung unserer Berichte dient, sondern eine sinnstiftende Unterhaltung auch über politische Fragen ist, die uns nicht unmittelbar betreffen, aber mittelbar wichtig werden können, ist dieses publizistische Gesprächsformat dem Untergang geweiht.

E-Mails an: oliver.grimm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.02.2020)

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