Morgenglosse

Wozu brauchen wir noch einen Auslandsoscar?

Bong Joon-ho, winner of Best Original Screenplay, Best Director and Best Picture for Parasite, appears backstage with hi
Bong Joon-ho, winner of Best Original Screenplay, Best Director and Best Picture for Parasite, appears backstage with hiimago images/UPI Photo
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Ein großer Preis für Hollywood, ein kleiner für die restliche Welt? Der Sieg von "Parasite" in beiden Oscar-Kategorien lässt endgültig an der Sinnhaftigkeit dieser Trennung zweifeln.

Es war einmal ein Königreich, das sehr stolz war auf seine Filmemacher. Jedes Jahr trafen sie sich alle in einem leuchtenden Saal, zogen ihre elegantesten Kleider an und feierten die besten Filme, die sie im vorangegangenen Jahr gedreht hatten. Wer bei diesem Fest den Hauptpreis gewann, dem wurden Ruhm und Ehre zuteil, weit über die Grenzen des Königreichs hinaus. Dass die Welt groß war und auch da draußen Filme gemacht wurden, das wussten die Leute im Königreich, und sie gaben auch immer einem Film aus der weiten Welt einen kleinen Preis. Den größten Preis aber, den verliehen sie stets an ihresgleichen. Eines Tages kam ein edler Ritter aus einem fernen Land, der etwas Ungeheuerliches wagte: Er wollte mitspielen im Turnier um den Hauptpreis! Die ganze Welt schaute gebannt zu, viele wünschten sich, dass er gewinnen würde, aber die wenigsten glaubten wirklich, dass er eine Chance hätte. Die Filmemacher aus dem Königreich wären zu stark und zu beliebt, dachten sie. Doch der Ritter schaffte es tatsächlich: Er gewann den großen Preis, und all die Menschen in ihren eleganten Kleidern jubelten ihm zu.

Solche Underdog-Märchen erzählt Hollywood gern – aber dass so etwas wirklich passiert, war im Oscar-Drehbuch lange nicht vorgesehen. Jetzt hat mit Bong Joon-hos „Parasite“ zum ersten Mal ein nicht-englischsprachiger Film den Hauptpreis gewonnen, zusätzlich zum „Auslandsoscar“. Das zeigt, dass das rund 8500 Mitglieder zählende Preiskomitee offener geworden ist für Geschichten aus der weiten Welt (und für Filme mit Untertitel). Und es lässt endgültig daran zweifeln, welchen Sinn eine solche Kategorien-Trennung heutzutage noch hat: Auf der einen Seite Hollywood, auf der anderen die restliche Welt (wobei deren Filme nur dann zugelassen sind, wenn sie explizit nicht auf Englisch sind)? Schon klar, die Oscar-Academy wurde als Hollywood-Interessensverband gegründet und nicht als Gemeinschaft der internationalen Filmkunst – doch was heißt das schon in Zeiten einer globalisierten Filmlandschaft?

Im Grunde gibt es jetzt zwei Möglichkeiten. Die Oscars könnten das Zeichen, das sie gesetzt haben, ausbauen und zu einem wirklich internationalen Filmpreis werden. Das würde heißen: Filme, die bisher in der Auslandsoscar-Kategorie verräumt waren, sind künftig im Rennen um den Hauptpreis. Die genaue Ausgestaltung (eine Quote wird wohl kaum jemand wollen) wäre noch offen, die Konkurrenz würde jedenfalls härter werden: Einige Kandidaten, die im Auslandsoscar-Rennen eine Chance hatten, werden dann wohl nicht mehr mitspielen, die anderen aber umso mehr Aufmerksamkeit bekommen. Seien wir realistisch: Allzu oft werden die „ausländischen“ Filme den Oscar nicht gewinnen, nicht so bald: Die Academy besteht vorwiegend aus alteingesessenen Hollywood-Leuten, die werden nicht von heute auf morgen Weltkino-Fans.

Löst dann ein internationaler Preis die Oscars ab?

Aber was ist die Alternative? Die Oscars gehen zurück zur Tagesordnung, zurück zum Tunnelblick - und setzen ihren Abstieg in die Bedeutungslosigkeit fort: Sinkende Quoten, Unmut über Nominierungen, Diversitätsdebatten haben die Veranstaltung zuletzt nicht gerade geadelt.

OSCARS 2013: MICHAEL HANEKE
OSCARS 2013: MICHAEL HANEKEAPA/ROLAND SCHLAGER

Vielleicht kommt dann ein anderer Filmpreis, der das globale Kinoschaffen wertschätzt, und löst den Oscar als wichtigste Auszeichnung ab: Und die Filmemacher aus der ganzen weiten Welt versammelten sich und beschlossen, ein Turnier zu veranstalten, an dem alle teilnehmen könnten, und dessen Sieger mehr Ruhm und Ehre erlangen würde als je ein Preisträger zuvor. Auch die Filmemacher aus dem Königreich waren dazu eingeladen, und sie bemühten sich sehr, gegen die Konkurrenz aus aller Welt zu gewinnen – und manchmal gelang es ihnen auch. So feierten sie fort und dachten immer seltener an das Fest zurück, das sie einst für ihresgleichen ausgerichtet hatten, bis es irgendwann ganz in Vergessenheit geriet.

Auch so kann ein Märchen ausgehen.

Noch mehr Oscars gefällig?

Um die Oscars geht es auch im „Presse"-Podcast. Oscar-Gewinner Stefan Ruzowitzky und Filmkritikerin Gini Brenner diskutieren mit Anna-Maria Wallner über die diesjährige Filmpreisnacht. Direkt Anhören geht gleich hier.

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