Wir werden für dumm verkauft

Der G20-Gipfel bietet erneut Politikern die Bühne, sich als Lösung des Problems zu inszenieren, das sie sind.

Der Vermittlungsausschuss von Repräsentantenhaus und Senat der Vereinigten Staaten hat sich nach langen Verhandlungen auf einen Gesetzesentwurf zur Finanzmarkt-Regulierung geeinigt. Kern des Pakets sind Beschränkungen für die Banken im Bereich des Handels mit Derivaten. Vor allem Spekulationsgeschäfte mit landwirtschaftlichen Produkten, Energie und anderen Rohstoffen sollen stark eingeschränkt werden.

Denn diese Geschäfte gelten als eine Art „Prototyp der Spekulation“. Dass sie Einschränkungen unterworfen werden, ist dort sinnvoll, wo es um ein höheres Maß an Transparenz geht. Manche Spitzenökonomen wie der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann fordern ja seit Langem, dass mit Lebensmitteln keinerlei Spekulation betrieben werden darf.

Das sind Dinge, die auch der einfache Mann von der Straße versteht: Man schmeißt kein Brot weg und zockt nicht mit Getreide. Wirklich?

Gerade die Absicherung landwirtschaftlicher Produktion gegen die unwägbaren Risiken von Witterung und Klima zeigt, wie bodenständig und sinnvoll Spekulation ist: Man einigt sich im Frühjahr auf den Preis des Getreides, das im Herbst geerntet wird, und bezahlt die Aussaat mit dem Erlös der erwarteten Ernte. Wird die Ernte zerstört, hat der Landwirt seine Versicherung bereits erhalten, der Käufer, der mit dem Landwirt ein Kredit- und ein Spekulationsgeschäft abgeschlossen hat, ergänzt sein Portfolio durch ein Versicherungsgeschäft, um seinerseits das Risiko, das er dem Landwirt abgenommen hat, zu minimieren. Der Versicherer wiederum investiert einen Teil seiner Prämie in eine Polizze bei einem Rückversicherer. Und schon ist der Urahn des verdammten Credit Default Swap in der Welt, der unseren Spitzenökonomen so viel Kopfzerbrechen macht.


Alle diese Geschäfte sind erstens für Menschen mit der Fähigkeit zu sinnerfassendem Lesen und durchschnittlichen Kenntnissen der Grundrechnungsarten kein Mysterium und zweitens vollkommen problemlos unter einer Bedingung: dass jeder Beteiligte über genug kurzfristig realisierbares Kapital verfügt, um fällig gestellte Forderungen zu erfüllen.

Ob man einige Finanzinstrumente jüngeren Datums wie die verfluchten ungedeckten Leerverkäufe verbietet oder nicht, ist eher eine Geschmacksfrage: Das sind wirkliche Zockernummern, aber es zeigt sich in der Regel, dass sie nur gegen Papiere funktionieren, die tatsächlich ein substanzielles Problem haben. Griechische Staatsanleihen zum Beispiel.

Das Kernproblem bleibt immer die Zahlungsfähigkeit im Falle der Fälligstellung. Und die einzige wirklich effektive Möglichkeit, diese im Wege der Regulierung sicherzustellen, ist die Festlegung hoher Eigenkapitalquoten. Je niedriger die Eigenkapitalerfordernisse für das einzelne Glied in der Kette werden, um so höher wird die Versuchung für jeden, ein Pyramidenspiel aufzuziehen, das immer höhere Risiken mit immer höheren Renditeversprechen an den nächsten weiterreicht, bis die Pyramide einstürzt.


Der groß inszenierte Vorgängergipfel der G20 im September des Vorjahres in Pittsburgh, bei dem die Staatenlenker eine Neuregelung der internationalen Finanzmärkte versprachen, ist aus guten Gründen in Vergessenheit geraten: Er war nichts weiter als eine Bühne für die populistische Selbstinszenierung von Politikern, die das Problem sind, für dessen Lösung sie sich halten. Die amerikanische Politik hat das Pyramidengeschäft der Subprime-Immobilienkredite zuerst durch billiges Geld und abgeschaffte Bonitätsprüfungen ermöglicht, ihre Umwandlung in handelbare Assets nicht überzuckert und am Ende eine marktwirtschaftliche Bereinigung des Schadens durch Bestandsgarantien für die großen Banken verhindert. Ähnliches ist in Europa passiert.

Das Gerede von gefährlichen Spekulanten, alchimistischen Finanzinstrumenten und einer außer Rand und Band geratenen Deregulierung ist also Schwachsinn. Man muss kein ökonomisches Genie sein, um zu sehen, dass es um exakt zwei Regeln ginge: eine massive Erhöhung der Eigenkapitalvorschriften und das Ende des Prinzips „Too big to fail.“ Das würde Risiken und damit notwendigerweise Renditechancen minimieren. Weshalb Banken dagegen sind und Politiker zu feige, sie gegen den Willen der großen Player umzusetzen.

Das seichte Scharmützel um Bankenabgaben und Finanztransaktionssteuern ist nichts weiter als ein Scheingefecht, mit dem jene für dumm verkauft werden, die am Ende wieder den Preis für das „more of the same“ zahlen werden: wir.


michael.fleischhacker@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.06.2010)

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