Wien

"35 Stunden, jetzt sofort": Beschäftigte der Sozialwirtschaft zeigen sich streikbereit

Warnstreik der Beschäftigten der Sozialwirtschaft
Warnstreik der Beschäftigten der SozialwirtschaftAPA/HELMUT FOHRINGER
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Mehr als 1000 Arbeitnehmer aus dem privaten Pflege-, Gesundheits- und Sozialbereich pochten vor dem Sozialministerium auf dringend notwendige Verbesserungen ihrer Arbeitsbedingungen.

Mit Trillerpfeifen, Plakaten und eingängigen Slogans haben am Mittwoch mehr als 1000 Streikende vor dem Sozialministerium in Wien ihre Forderung nach einer 35-Stunden-Woche in der Sozialwirtschaft erneuert. Die Anwesenden pochten auf dringend notwendige Verbesserungen ihrer Arbeitsbedingungen und zeigten sich anhand der stockenden KV-Verhandlungen streikbereit - wenn nötig auch bis in den Sommer.

"35 Stunden, jetzt sofort" und "Arbeitszeit runter, Löhne rauf", forderten die trotz Kälte und Wind zahlreich erschienenen Beschäftigten aus 13 verschiedenen Organisationen im privaten Pflege-, Gesundheits- und Sozialbereich. Teils hielten sie ihre Betriebsversammlungen im Rahmen der Streikversammlung vor dem Sozialministerium ab, teils kamen einzelne Mitarbeiter mit selbst gebastelten Schildern, um auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen. Einen kurzen Blick auf die Versammlung warf auch Sozialminister Rudolf Anschober (Grüne) höchstpersönlich, als er vom Ministerrat an seinen Arbeitsplatz zurückkehrte. Er sah sich das Schauspiel kurz an, ehe er wieder im Ministerium verschwand.

"Wenn der Sozialbereich steht, steht das ganze Land"

Auf einer kleinen Bühne wurden vor den Toren kämpferische Reden geschwungen. Der einhellige Tenor: Die 35-Stunden-Woche müsse dringend eingeführt werden, vor allem zur Burnout-Prävention und zur Gesundheitsförderung der Beschäftigten. Die Betriebsratsvorsitzenden, die zur Menge sprachen, zeigten sich kampfbereit, kündigten weitere Streiks an und zeigten hohe Bereitschaft, diese auch bis in den Sommer weiterzuführen. "Streiken würd ich liken", stand auf einem Plakat, und genauso war die Stimmung. Der Warnstreik sei ein guter Anfang, sagte etwa Alexander Magnus, Betriebsratsvorsitzender der Sucht- und Drogenkoordination Wien, und forderte zum Durchhalten auf: "Wenn der Sozialbereich steht, steht das ganze Land!"

Eva Scherz, Verhandlerin für die Gewerkschaft GPA-djp, zeigte sich von der Kulisse vor dem Sozialministerium am Mittwoch beeindruckt - und in der Forderung der Gewerkschaften bestätigt. Für eine Einigung in der kommenden Verhandlungsrunde am Montag gab sie sich optimistisch. "Wenn sich die Arbeitgeber einen Ruck geben", sei eine Einigung möglich, kündigte sie an. Der mögliche Kompromiss, dass die 35-Stunden-Woche nicht auf einmal, sondern etappenweise eingeführt wird, nannte sie einen "gangbaren Weg", über den man am Montag sicher sprechen werde.

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Vida-Verhandlerin Michaela Guglberger bezeichnete das Angebot eines mehrjährigen Kombipakets von Sozialminister Anschober als "nett", leider sitze dieser aber nicht am Verhandlungstisch mit ihnen, sondern die Arbeitgeber, sagte sie. Für Montag sei sie "guten Willens zu verhandeln", so Guglberger. Sie betonte, dass der Sozialbereich zwar eine "besondere Branche" sei, die Arbeit schwer und belastend. Es sei aber auch eine sehr schöne Tätigkeit, sagte sie. Trotzdem brauche es eine Entlastung: 70 Prozent der Beschäftigten arbeiten in Teilzeit, weil mehr einfach nicht zu schaffen sei.

Unterstützt wurde sie dabei von den Streikenden selbst. Die Arbeitszeitverkürzung sei schon lange notwendig, hieß es da mit breiter Zustimmung. Viele Leute seien sehr belastet, psychisch und physisch. Im Sozialbereich leiste man emotionale Schwerstarbeit, es herrsche hoher Druck, die Ökonomisierung sei ein großes Problem, wurde berichtet.

Rückendeckung von der AK

Rückendeckung bekamen die Gewerkschaften am Mittwoch auch von der Arbeiterkammer, die per Aussendung gute Gründe für die Einführung einer 35-Stunden-Woche in den Sozialberufen aufzeigte. "Eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich macht den Beruf attraktiver", sagte AK-Präsidentin Renate Anderl.

Die Arbeitgeber warnten am Mittwoch trotz der hohen Streikbeteiligung von mehr als 250 Standorten erneut vor einem verschärften Personalmangel im Pflegebereich im Fall einer Arbeitszeitverkürzung auf 35 Stunden pro Woche. "Wir sind schon jetzt in der bedauerlichen Situation, dass wir dringend benötigte Pflegeplätze nicht anbieten können, weil uns qualifiziertes Personal fehlt", beklagte Walter Marschitz, Verhandlungsführer der Sozialwirtschaft Österreich (SWÖ). "Wenn wir die Arbeitszeit verkürzen, verschärfen wir diese Situation sehenden Auges", sagte er und wünschte sich von den Gewerkschaften eine Rückkehr an den Verhandlungstisch. Dort trifft man sich am kommenden Montag wieder, der Ausgang der sechsten Verhandlungsrunde ist derzeit völlig offen.

(APA)

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