Gastkommentar

Europa sieht das wahre China nicht

(c) Peter Kufner
  • Drucken

Die Europäer betrachten China in erster Linie als Geschäftspartner. Sie sehen nicht, welche Bedrohung von Xi Jinping ausgeht. Trumps Strategie ist zumindest im Ansatz besser.

Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.

>>> Mehr aus der Rubrik „Gastkommentare“

Weder die europäische Öffentlichkeit noch führende Politiker und Wirtschaftslenker Europas sind sich der von Xi Jinpings China ausgehenden Bedrohung voll bewusst. Obwohl Xi ein Diktator ist, der in seinem Bemühen, die chinesische Gesellschaft unter Kontrolle zu bringen, hochmoderne Technologie nutzt, betrachten die Europäer China in erster Linie als wichtigen Geschäftspartner. Sie verkennen, dass Xi seit seinem Amtsantritt als Präsident und Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) ein Regime errichtet hat, dessen Leitprinzipien in diametralem Widerspruch zu den Werten der EU stehen.

Der Drang, sich mit Xi einzulassen, ist in Großbritannien noch stärker als im Rest der EU. Premierminister Boris Johnson will eine größtmögliche Distanz zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU schaffen und eine freie Marktwirtschaft errichten, die nicht durch EU-Verordnungen behindert wird. Das dürfte ihm kaum gelingen, weil die EU bereit ist, Gegenmaßnahmen gegen die Art von Deregulierung zu ergreifen, die Johnsons Regierung vorzuschweben scheint. Doch in der Zwischenzeit beäugt Großbritannien China als potenziellen Partner, in der Hoffnung, die Partnerschaft wieder aufleben zu lassen, an deren Aufbau der frühere britische Finanzminister George Osborne zwischen 2010 und 2016 arbeitete.

Huawei auf der US-„Entity List“

Die Trump-Regierung hat, anders als US-Präsident Donald Trump persönlich, ihre Beziehungen zu China viel besser organisiert. Sie hat eine überparteiliche politische Strategie entwickelt, die China zum strategischen Rivalen erklärt, und den Technologieriesen Huawei sowie mehrere andere chinesische Firmen auf die sogenannte Entity List gesetzt, die es US-Unternehmen untersagt, ohne staatliche Genehmigung mit diesen Firmen Geschäfte zu machen.

Nur einer kann diese Regel ungestraft verletzten: Trump selbst. Leider scheint er genau das zu tun, indem er Huawei gegenüber Xi zur Verhandlungsmasse gemacht hat. Seit Mai 2019 (seit Huawei auf der Entity List steht), hat das Handelsministerium Huawei mehrere dreimonatige Befreiungen erteilt, um die Komponentenzulieferer des Unternehmens keinen unbilligen Härten auszusetzen.

Huawei ist ein sehr ungewöhnliches Unternehmen. Gründer Ren Zhengfei erhielt seine technische Ausbildung u. a. als Mitglied des Ingenieurkorps der Volksbefreiungsarmee, und die VBA war einer seiner ersten Großkunden. Zum Zeitpunkt der Gründung Huaweis 1987 importierte China seine gesamte Technologie aus dem Ausland; Rens Ziel war es, ausländische Technologien mithilfe örtlicher Wissenschaftler nachzubauen. Im Jahr 1993 brachte Huawei die leistungsstärkste in China erhältliche Telefonanlage auf den Markt. In der Folge erhielt es den wichtigen Auftrag von der VBA zum Aufbau des ersten nationalen Telekommunikationsnetzes. Später profitierte es von der 1996 von der Regierung beschlossenen Strategie, inländische Telekommunikationshersteller zu fördern, was zugleich den Ausschluss ausländischer Wettbewerber beinhaltete.

Nachdem Xi an die Macht kam, verlor Huawei jede Selbstständigkeit, die es einst gehabt hatte. Wie jedes andere chinesische Unternehmen muss es den Befehlen der KPCh folgen. Bis 2017 blieb dies ein stillschweigendes Einverständnis; mit der Verabschiedung des nationalen Geheimdienstgesetzes wurde daraus eine formelle Verpflichtung. Kurz darauf war ein Huawei-Mitarbeiter in einen Spionagefall in Polen verwickelt, und auch in anderen Fällen wurde das Unternehmen der Spionage bezichtigt. Doch Spionage ist nicht Europas größte Gefahr. Europas wichtigste Infrastrukturanlagen von chinesischer Technologie abhängig zu machen bedeutet, Erpressung und Sabotage Tür und Tor zu öffnen.

Konkurrent Huaweis aufbauen

Die EU steht vor einer enormen Herausforderung: Die schweigende europafreundliche Mehrheit hat kundgetan, dass ihr wichtigstes Anliegen der Klimawandel ist, doch die Mitgliedstaaten streiten über den Haushalt und konzentrieren sich mehr auf ein Appeasement Xis als auf die Aufrechterhaltung transatlantischer Beziehungen. Statt einen aussichtslosen Kampf gegen Huaweis Dominanz auf dem 5G-Markt zu führen, sollten die USA und die EU, oder die EU-Staaten allein, zusammenarbeiten, um Ericsson und Nokia zu ernsthaften Konkurrenten Huaweis aufzubauen.

Xi wird im September in Leipzig mit den Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Mitgliedstaaten zusammentreffen. Die Europäer müssen begreifen, dass ihm dies einen dringend benötigten politischen Erfolg verschafft, sofern er nicht für sein Versäumnis, die Menschenrechte insbesondere in Tibet, Xinjiang und Hongkong zu wahren, verantwortlich gemacht und diesbezüglich befragt wird.

Nur die politische Führung Chinas kann über Xis Zukunft entscheiden. Der durch seine Fehler beim Ausbruch des Coronavirus entstandene Schaden ist inzwischen derart offensichtlich, dass die chinesische Bevölkerung und sogar das Politbüro ihn erkennen müssen. Die EU sollte sein politisches Überleben nicht wissentlich unterstützen.

Aus dem Englischen von Jan Doolan
© Project Syndicate 1995–2020.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

DER AUTOR

George Soros (*1930 in Ungarn) ist Investor Philantrop, Gründer und Chairman der Open Society Foundations. Die von ihm 1991 ins Leben gerufene private „Central European University“ übersiedelte 2019 von Budapest nach Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.02.2020)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.