Spiel mit Erwartungen

Alberto Gipponi: „Gut ist nicht das richtige Wort“

Wer sind wir? Alberto Gipponi, studierter Soziologe, spielt gern mit Erwartungen.
Wer sind wir? Alberto Gipponi, studierter Soziologe, spielt gern mit Erwartungen. (c) Chiara Cadeddu
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Bei Alberto Gipponi im Ristorante Dina nahe Brescia ist fast alles anders als erwartet: mit Schneckenschleimsoufflé, Wachteldessert und Hardcore-Pasta.

Seinen Rosmarinreis kann er nicht im Rahmen der regulären Menüs servieren. „Neun von zehn Gästen würden ihn nicht essen. Zu heftig“, sagt Alberto Gipponi und hebt die Schultern (nur ein Zucken im Mundwinkel verrät einen gewissen Stolz, so etwas geschaffen zu haben). Zu heftig, das meint: zu intensiv, zu harzig. Dieser Reis ist etwas für Fortgeschrittene, weit Fortgeschrittene – da kann er hundertmal auf einem unschuldigen pastellfarbenen Kinderteller mit Zirkuselefantenmotiv serviert werden.

Nicht nur angesichts dieses Gerichts scheiden sich an Alberto Gipponi und seinem Ristorante Dina in Gussago nahe Brescia die Geister. Einige Gästebucheinträge – jeder Tisch hat sein eigenes Büchlein, gekennzeichnet mit der Tischnummer – bescheiden dem Autodidakten Genialität, einer stellt ihn gar auf eine Stufe mit Ferran Adrià vom El Bulli; andere Gäste scheitern an so manchem Gericht, wie Gipponi freimütig zugibt. Schneckenschleimsoufflé, dazu ein Stamperl überraschend säuerlich schmeckendes pures Schneckensekret? Entwarnung kann da nur geben, wer das perfekt aufgegangene Soufflé kostet – ganz harmlos. Warum Gipponi dann überhaupt mit dieser furchterregenden Zutat arbeitet? Den studierten Soziologen interessieren Erwartungen, „die Ästhetik der Erfahrungen und Erinnerungen“, Vorbehalte, menschliche Abgründe. „Ich möchte meinen Gästen das bieten, was ich umgekehrt selbst gern erfahren würde.“

Gewölbe. Das Ristorante Dina in Gussago ist eine der Avantgarde-­Adressen Italiens.
Gewölbe. Das Ristorante Dina in Gussago ist eine der Avantgarde-­Adressen Italiens.(c) Beigestellt



Das Dina, nach Alberto Gipponis Großmutter benannt, eröffnete im November 2017 in einem alten Gewölbe in einem unscheinbaren Eckhaus in Gussago, einem lombardischen Städtchen mit etwas über 16.000 Einwohnern. Es passt zum nicht eben geradlinigen Werdegang dieses Kochs, dass er sich am allerersten Öffnungstag die Hand dermaßen mit heißem Öl verbrühte, dass er sofort operiert werden musste. „Der Grant Achatz Italiens“ wurde Gipponi bald genannt, in Anlehnung an den amerikanischen Sternekoch, der wegen Zungenkrebs eine Zeit lang ohne Geschmackssinn auskommen musste.

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